PRESS-SCHLAG
: Hallo Dolly

■ Thomas Doll war beim 0:0 des Hamburger SV gegen Wattenscheid 09 vom vielen Lob paralysiert

Ach, er bot ein Bild des Jammers, neunzig erbarmungswürdige Minuten das schiere stolpernde Elend. Und das ausgerechnet, als er just von den Mannschaftskapitänen der Bundesliga und Bundestrainer Hans-Hubert Vogts zum Spieler des Monats gekürt worden war, weswegen am Sonnabend vor Spielbeginn im Volksparkstadion auch Louis Amstrongs Hallo Dolly erklang. Daß Thomas Doll daraufhin kein öffnender Paß, keine clevere Flanke, eigentlich rein gar nichts gelang, weil er schlichtweg unter verlangsamter Reaktionsfähigkeit litt, entschuldigte später milde sein Trainer Gerd-Volker Schock: „Er hat viel gearbeitet in den letzten Wochen.“

Viel gelernt hat Doll, seit er zu Saisonbeginn von Dynamo Berlin zum Hamburger Renommierverein wechselte. Als konvertierter Zögling westlicher Dynamik macht er sich beflissen den Grundsatz zu eigen, daß Leistung segenbringend ist. Lohn der Arbeit auf dem Rasen sind Mark und Pfennig, Schlagzeilen und viele Schulterklopfer.

Ob ihm das von Konkurrenzkampf und Boulevardpresse bestimmte Leben ganz geheuer ist, darf bezweifelt werden. Der mecklenburgische Junge, bei Lokomotive Malchin ins Fußballerglück gestartet, später bei Hansa Rostock, dann bei Dynamo in Diensten, hat den Glauben an das Prinzip hierarchischer Strukturen und den Sinn für bescheidenes Auftreten bewahrt. Er ist bezaubernd ostzonal geblieben, mit einem Lächeln unter blondem Nackenspoilerschopf, das erschütternd schüchtern ist. Auch sein Chef, HSV-Präsident Jürgen Hunke, ließ sich jüngst dazu hinreißen, den 24jährigen so zu beschreiben: „Ein großer Mensch wird, wer sein Kinderherz bewahrt.“ Ketzerei zu mutmaßen, der durchtriebene Geschäftemacher meine eigentlich: Der Junge ist ein Geschenk des realen Sozialismus, weil er gnadenlos naiv, dabei für den Verein Millionen wert ist.

Er ist der einzige Star in einer Mannschaft, die ihren Höhenflug der vergangenen Monate immer mit dem Elf-Freunde-Motto begründete. Freilich ist ihm Dünkel fremd. Glücklich bekannte Doll bei seinem Vereinswechsel, für ihn gehe „ein Kindertraum in Erfüllung“, weil er schon als Steppke im Geiste für den HSV auflief.

Der Start im Westen war weniger traumhaft. Fälschlicherweise wurde dem 29fachen DDR-Nationalspieler zu Saisonbeginn unterstellt, er sei Stürmer. Folgerichtig mußte man mit seiner nichtexistenten Torausbeute unzufrieden sein. Mittlerweile haben Doll und sein Trainer es jedem Deppen klargemacht: Doll ist kein Vollstrecker, er ist ein Vorbereiter.

Auch der Bundestrainer erkannte das. Und bescherte dem jungen Mann „den schönsten Moment in meinem Leben“, als er ihn in der vorvergangenen Woche gegen die UdSSR auflaufen ließ. Eingefügt hat Doll sich unspektakulär und ordentlich in die Reihen der verwöhnten Weltmeister. So wie es sich gehört. „Stolz, für Deutschland zu spielen“, war er natürlich auch. Eigenartig konform ging Doll allerdings mit dem kecken Ex-Dresdner und Neu-Stuttgarter Matthias Sammer. Wie der Rotschopf, so verweigerte auch der Blonde bei seiner Premiere das Absingen der Nationalhymne. Ein Anflug von Frechheit? Oder war er einfach fürs Singen zu ergriffen — von seiner Blitzkarriere Marke West? tak