Akkordeon und E-Gitarre

Fünf CDs mit Cajun-Musik, Zydeco und Swamp-Pop  ■ Von Adrian Wolfen

Irgendwo und überall in Deutschland im Jahre 1978: Die „Bee Gees“ und „Abba“ haben mit Titeln wie Stayin' Alive und Take a Chance on Me die vorderen Hitparadenplätze okkupiert. Permanente Medieneinsätze sichern ihnen die Oberhoheit. Dann aber passiert es: Im Musikladen, der damals tonangebenden TV- Musiksendung, tritt ein Musiker auf, der der Fönwellen-Ästhetik des Disco-Looks den Charme des Waldbuben entgegensetzt. Das 40jährige Mannsbild mit kariertem Flanellhemd, breiten Koteletten und strammen Oberschenkeln, kommt direkt aus Louisiana, sieht aus wie ein leibhaftiger Holzfäller — ist aber eigentlich Lehrer — und spielt eine ungemein rasante Version des Rock'n'Roll-Klassikers von Chuck Berry, Promised Land: Es ist die Geschichte von einem, der seine Heimat Lousiana verläßt, um in Kalifornien sein Glück zu machen. Von der Ferne aus ruft er zu Hause an: „Sag den Leuten, hier spricht das gelobte Land, ein armer Hund ist an der Strippe!“

Mindestens ebenso befremdlich wie dieser „Waldläufer“ in der Disco, ist auch die Instrumentierung des Songs: Statt einer E-Gitarre oder eines Synthis dominieren die auf- und abschwellenden Töne eines Akkordeons — eine damals recht unübliche Sache, jedenfalls für Pop-Fans!

Gleichwohl, das Ganze hat etwas, jedenfalls soviel, daß Johnnie Allans Rock'n'Roll-Adaption sich bald ebenfalls unter den ersten 20 Plätzen der Hitparade wiederfindet. Und die Briten verliehen ihm sogar noch den Ehrentitel „King of Swamp Music“!

Aber diese Momentaufnahme stammt aus den siebziger Jahren. Und wenn der Trikont-Verlag mit seiner mittlerweile fünfteiligen Dokumentation der Cajun-, Zydeco- bzw. Swamp-Musik nicht noch einmal auf Johnnie Allan aufmerksam gemacht hätte — wer weiß, ob sich hierzulande noch irgendjemand außerhalb des kleinen Kreises der Pop- Archivare und Folk-Puristen dieses denkwürdigen Ereignisses erinnern würde. Ein Foto von Allan ziert jedenfalls das Cover der vierten Folge dieser verdienstvollen Dokumentation, und wer alle fünf Teile hintereinander hört, mag vielleicht ahnen, wieviel Konfliktstoff gerade in einem Titel wie Promised Land steckt.

Promised Land ist Swamp-Pop. Und dergleichen stellt für Folk-Puristen und Cajun-Traditionalisten einen Verrat an der heiligen Tradition dar. Und heilig ist alles, was alt und damit von der Moderne unbeleckt ist. Cajun-Musik ist alt, und Folk- Puristen erzählen sie deshalb auch so gerne, die so liebliche Mär von der Cajun- und Zydeco-Musik, die vor rund zweihundert Jahren von französischen Einwanderern in die Sümpfe Louisianas gebracht wurde. Damals war die Welt noch in Ordnung: die Alligatoren bissen noch, der Schnaps wurde noch selbst gebrannt, und die Musik war noch handgemacht. Mit Akkordeon, Fiedel und Triangel zogen die Acadier — oder: Cajuns — rund um das Lagerfeuer. Polkas und Walzer aus der französischen Heimat erklangen, alle Menschen waren nett zueinander, der Mond ging über den Mangrovensümpfen auf, die Idylle war perfekt.

Jedenfalls so lange, bis die böse, böse Moderne in Louisiana einfiel: Die Industrialisierung sorgte für eine nachhaltige Zersiedlung der Landschaft, die Petrochemie pflanzte hier und dort einen Bohrturm, und das Radio, wichtigster Agent der Moderne, schloß die in splendid isolation lebenden „Hinterwäldler“ mit dem Rest der Welt kurz. Dieser „Sündenfall“ geschah bereits in den zwanziger Jahre, und seitdem, so heißt es, sei es auch mit der Originalität der Cajun-Musik vorbei, da alsbald Blues- und Country-&-Western-Einflüsse die „Reinheit“ des ursprünglich europäischen Liedgutes verdorben hätten. Und daß der Verrat an der „heiligen Sache“ im Swamp-Pop — etwa bei Johnnie Allan durch die Übernahme von Pop- Melodien, Rock'n'Roll-Rhythmen und einem Instrumentarium, das neben dem Akkordeon auch Platz für eine E-Gitarre ließ — noch weitergetrieben wurde, war und ist nach Ansicht einiger Puristen eindeutig.

Dummerweise entgeht dieser Argumentation, daß die Cajun-Musik selbst immer schon eine durchwachsene Angelegenheit war. Recht gehört, bestand sie nämlich nicht nur aus altfranzösischen Traditionalismen. Zu den Acadiern in den Sümpfen stießen alsbald Deutsche und Polen, und mit den Schwarzen verschafften sich auch karibische, ja sogar afrikanische Einflüsse Geltung. Erst aus diesem multikulturellen Mix entstand diese eigenartige und eigenständige Kultur; nur so, in der lebendigen Auseinandersetzung mit fremden Einflüssen, wird sie sich auch weiterhin behaupten können.

Und insofern verwässern Swamp- Pop-Musiker wie Johnnie Allan, Belton Richard oder Cookie & The Cupcakes nicht etwa eine Tradition, sondern halten sie — paradoxerweise — durch ihre Anleihen bei den Pop- Modernismen lebendig. Der Erfolg gibt ihnen dabei recht: Sie und Leute wie Zachary Richard, Bruce Daigrepont und Michael Doucet stellen aktuelle Beispiele für die Aktualiät einer Tradition dar. Sie repräsentieren nicht nur einen der zur Zeit neben Rap Funk und HipHop wichigsten musikalischen Trends, nein, sie verweisen halt immer auch noch auf die roots ihrer Musik. Namen wie Austin Pitre, Nathan Abshire, Boozoo Chavis oder Clifton Chenier werden im Gespräch mit ihnen dauernd genannt; und die Musik dieser Alt- Heroen bleibt im Spiel der Youngsters lebendig.

Und natürlich nicht nur dort: Denn schließlich gibt es jenes von allen Folk-Puristen so verteufelte Medium, welches die technische Reproduzierbarkeit von Musik ermöglicht: die Schallplatte! Ihr haben wir es letztlich zu verdanken, wenn wir uns nicht nur an Musiker wie Johnnie Allan im Jahre 1978, sondern auch noch an dessen Vorbilder aus den zwanziger, dreißiger, vierziger oder fünfziger Jahren erinnern. Und wenn diese hilfreich bei einem Plädoyer für eine multikulturelle Gesellschaft sind, umso besser.

Im Trikont-Verlag, München, sind als Fortsetzung der Serie Swamp Music vol. I-III nun die Folgen IV und V erschienen: Modern Cajun Lovers vol. IV mit Johnnie Allan, Belton Richard u.a.; Krazy Kats vol. V mit Beausoleil, Johnnie Allan, Doris Matte, Cookie & The Cupcakes u.a.