ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Meine Liebe zu zwei Frankokanadischen Schwestern und zwei Puristen

Manche Platten kommen schon als Ladenhüter zur Welt. Und nicht nur die schlechtesten. Und nicht nur typische „Indies“. Zum Beispiel Graham Parker. Seit er mit seinem Versuch, als glattproduzierte Goldkehle des Rhythm'n'Blues den amerikanischen Markt zu erobern, Schiffbruch erlitten hat, ist der Mann praktisch unsichtbar geworden — zu wenig trendy für die Jungen, schon jenseits von gut und böse für den großen Rest. Nicht einmal die Connaisseure von 'Spex‘, sonst hinter jedem Trüffelchen her, öffnen ihm mehr die Spalten ihres Blattes, vielleicht, weil sie doch nicht immer wissen, was gut ist, vielleicht auch, weil sie Angst haben, mit schreibenden Althippies in einen Topf geworfen zu werden, die diese Platte zufällig auch mal mögen könnten. Dabei hat sich Parker mit seinen letzten Platten zum Independent-Performer par excellence entwickelt, vorausgesetzt, „independent“ hieße noch: die künstlerische und technische Kontrolle über das eigene Produkt zu behalten und nicht jedem Trend hinterherzulaufen. Struck by Lightning ist, wie schon der Vorgänger Mona Lisa's Sister, selbst produziert und mit minimaler Besetzung eingespielt: fast nur Baßgitarrenschlagzeug. Ab und zu bloß unterstützen ein Intro, ein zusätzliches Instrument oder ein Chorus Parkers Rhythmusgitarre und seine immer noch unverwechselbare Stimme. John Sebastian steuert ein paar Autoharp-Klänge bei, Garth Hudson (der von „The Band“) ist an Akkordeon und Hammondorgel zu hören, die „Buxom Babes of Dreamland“ (wer immer das sein mag) klatschen ein paarmal Gegenrhythmen, ohne daß sich das anbiedert oder nach All-Star-Rentner-Band klingt wie bei den „Travelling Wilburys“. Im Gegenteil: in seiner dritten Karriere zeigt Graham Parker sich so unprätentiös wie möglich, so melodiös wie nötig, aber auch so spröde, wie er gerade lustig ist; Struck by Lightning strahlt eine schlichte Hometaping-Atmosphäre aus, die (mit Recht) ganz auf das Songmaterial vertraut und in der gegenwärtigen Szene nur wenig Vergleiche kennt: frühe „Violent Femmes“, späte „Replacements“, vielleicht noch Mike Scott von den „Waterboys“.

Oder auch Elliott Murphy. Auf seinem jüngsten Album mit dem lapidaren Titel 12 treibt der den Purismus allerdings so weit, daß nicht einmal mehr die Reihenfolge der Aufnahmen verändert werden durfte, vom Verzicht auf Overdubs ganz zu schweigen. En détail wird dem Hörer die im eigenen Apartment, sozusagen gleich neben dem zerwühlten Bett aufgebaute Versuchsanordnung gebeichtet: Guild-„Songbird“- und Gibson-„Chet-Atkins“-Gitarren waren beteiligt, ein Steinberger-Bass, dazu ein Panasonic Portable DAT-Recorder, Tascam und Soundcraft-Mixer sowie „Neumann U-47 und U-67 tube mics courtesy of Roger Robindoré“ — klingt wie ein reichlich komplizierter Zeugungsakt; oder als hätte man eine Truppe bis an die Zähne ausgerüsteter Experten engagiert, um eine Atmosphäre einzufangen, die schon nicht mehr so recht von dieser Welt ist. Elliott „James“ Murphy ist ein später Vertreter des globetrottenden Amerikaners auf der Suche nach einem imaginären „Europe“, immer bereit, seine Songs von historischem Boden aufzuklauben, in eine Chinakladde zu kritzeln, um sie später einem als Solidargemeinschaft von „good friends“ verstandenen Publikum ans Herz zu legen: „I was in Sicily reading Henry Miller...“ (Sicily — Tropic of Separation). Kein Wunder daß sein Sehnsuchtsort Paris, genauer gesagt „Päriß“ heißt, wo er zur Zeit auch wirklich wohnt, und von wo es ihn im Sommer gen Süden zieht. Murphys großes Pech ist, daß seine Spezies hoffnungslos am Aussterben ist. Wo Miller mit seinen stillen Tagen einen Mythos erzeugte, muß er ihn in seinen Songs hardworking heraufbeschwören; wo Dylan seine Boots of Spanish Leather getrost nach Hause brachte, irrt Murphy in Sizilien durch Diskothekenlandschaften, denen die Essenz von Bandana und Vino Rosso nur mühsam abzupressen ist. Und doch: wer bei Just Like a Woman je ein Träne vergoß, der wird auch bei Elliott Murphys heiseren Gesängen von Liebe und Loser-Leben nicht ungerührt bleiben. Denn alle in dieser Art von Musik gespeicherten Gefühle haben hier Wucherungsformen angenommen; sie umschlingen einen mit der ganzen Suggestionskraft, zu der Epigonen fähig sind: noch einmal Clichy sehen und sterben.

Für meine Liebe zu zwei frankokanadischen Schwestern namens Kate und Anna McGarrigle habe ich mir schon reichlich Spott aus dem fernen und auch näheren Bekanntenkreis eingehandelt. Sie begann plötzlich und heftig mit der ersten, tatsächlich in kanadischem Französisch gesungenen LP (insbesondere dem Gospel-Reggae Complainte pour Ste. Catherine) und war heuer immerhin noch so stark, daß ich mir Heartbeats accelerating, das erste Lebenszeichen der beiden seit Jahren, angeschafft habe. Bereut hab' ich's nicht. Wie immer gehen die Schwestern in die Vollen, wagen sich an küchenpoetische Definitionen von Liebe heran („Love is a shiny car, love is a steel guitar...“) oder besingen, teilweise hemmungslos tremolierend, die Überreste des Essens von gestern („I eat dinner“). Mal so sagen: Hiphop ist das nicht. Eher lacht da das Müsli, und die Stricknadel klimpert im Takt. Auch der Synthesizer mit seiner naturidentischen Süße hebt das ansonsten ganz auf (Akustik-)Gitarre und Piano gebaute McGarriglesche Werk nicht unbedingt auf die Höhe der Zeit. Es bleibt Siebziger-Jahre-„Searchin'-for-a-Heart- of-Gold“-Blues, leicht mondsüchtig — Musik, die, ähnlich wie Elliott Murphy, Bruchstücke von Intimität als gepflegtes und angenehmes, wenngleich zugegebenermaßen leicht ältliches Gefühl in die Gegenwart herüberrettet.

Damit diese Rubrik aber nicht nur mit Auslaufmodellen bestückt ist, zum Schluß noch eine ganz junge Singer/Songwriterin, eine, „die es erst noch zu entdecken gilt“ (wie die 'Zeit‘ schreiben würde). Brenda Kahn trägt Leopardenfellimitat-Sneakers aus dem Kaufhaus und spielt bislang noch in ganz kleinen Clubs. Goldfish Don't Talk Back ist ihre erste Platte; sie klingt wie die Aufnahme einer Session. „Brenda Kahn ist New Yorks Antifolksängerin!“ behauptet vollmundig das Info — was bestimmt übertrieben ist, aber einen wahren Kern hat: anders als die meisten Vertreterinnen des aktuellen Ladyfolk-Revivals setzt diese hier weniger auf einschmeichelnde, Moll-lastige Balladen als auf Schnodderlyrik im Talking-Blues-Stil, sparsam begleitet von Kontrabaß und einem nervösen Schlagzeug. Wenn es doch einmal ernst zu werden droht, zieht Brenda Kahn energisch die E-Saite hoch, läßt sie rüde schnappen oder verfällt in eine ironische Elogy for My Next Lover. Davon abgesehen zehrt auch sie vom immergrünen Mythos von Greenwich Village, von der Kleinstadt in der Großstadt (ihr Label heißt „Community 3“), chaotischen Café-Bekanntschaften und guten Freunden, die die Cover Art für einen erledigen. Sie heißen Winchester, Steve oder James G. Petropoulos, wohnen gleich um die Ecke und werden vielleicht auch noch da sein, wenn es nichts wird mit dem großen Ruhm für Brenda.

—Graham Parker: Struck by Lightning (Demon Records)

—Elliott Murphy: 12 (New Rose)

—Kate & Anna McGarrigle: Heartbeats Accelerating (Private Music/ARIS)

—Brenda Kahn: Goldfish Don't Talk Back (Community 3/Semaphore)

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