KOMMENTARE
: Grenzüberschreitung des Völkerrechts

■ Der UN-Sicherheitsrat mischt sich in die „inneren Angelegenheiten“ Iraks ein

Schon immer waren die Kurden Spielball der Mächtigen, früher der Perser, Russen, Briten und Türken, in den letzten zwei Jahrzehnten vornehmlich der Herrscher in Teheran und Bagdad — nun in gewisser Weise auch der Amerikaner. Das Streben des Bergvolkes nach Freiheit und Unabhängigkeit wurde oft genug einem machtpolitischen Kalkül geopfert. Doch das aktuelle Drama geht weit über diese säkulare Erfahrung hinaus. Zwei Millionen Kurden sollen sich auf der Flucht vor Saddam befinden. Der US-Präsident, der sie noch vor wenigen Wochen zum Aufstand gegen den Diktator aufgerufen hatte, entdeckte nun — acht Jahren nach dem Überfall auf Grenada und anderthalb Jahre nach der Bombardierung Panamas und der Entführung Noriegas —, daß das Völkerrecht eine Intervention in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verbietet.

Daß die USA den kurdischen Aufstand unterstützen oder dem Rollback von Saddams Präsidialgarde militärisch Einhalt gebieten würden, konnte allerdings im Ernst nur erwarten, wer Bushs Golfpolitik schon immer als Kampf für die Durchsetzung hehrer Grundsätze mißverstanden hat. Eine Intervention in den irakischen Bürgerkrieg hätte die westlich-arabische Allianz sehr wahrscheinlich gesprengt, und der militärische Sieg über Saddam Hussein hätte sich schnell in eine politische Niederlage verwandeln können. Im übrigen hat die US- Regierung immer deutlich gemacht, daß ihr die staatliche Integrität des Iraks notfalls wichtiger ist als die Entmachtung des Despoten von Bagdad.

Die Hoffnung auf einen neuen Weltpolizisten mag angesichts der kurdischen Tragödie verständlich sein, doch sie liegt quer zur Interessenlage der USA. Bush hat dies am Wochenende mit den eigentümlichen Worten bestätigt, er werde „kein kostbares amerikanisches Leben in diese Schlacht schicken“. Daß nun wenigstens die UNO, die den Krieg am Golf legitimiert hat, um ihn dann den USA zu überlassen, die Unterdrückung der irakischen Zivilbevölkerung, insbesondere der Kurden, verurteilt hat, ist zu begrüßen. Es ist eine mutige Resolution, weil sie die Gepflogenheiten der Weltorganisation mißachtet und sich — in dieser Eindeutigkeit erstmalig — in die inneren Verhältnisse eines Mitgliedsstaates einmischt. Das Statut der UNO läßt dies zwar im Fall einer „Gefährdung des internationalen Friedens und der Sicherheit der Region“ zu. Doch ist nun ein Präzedenzfall geschaffen, der in der UNO in Zukunft noch Sprengkraft entfalten dürfte. Das Drama in den kurdischen Bergen, das immer klarer die Züge eines Genozids annimmt, rechtfertigt ihn allemal. Thomas Schmid