Die Polen kommen

■ Berlins Innensenator rüstet gegen den visafreien Ansturm aus dem Osten

Die Polen kommen Berlins Innensenator rüstet gegen den visafreien Ansturm aus dem Osten

Manchmal spricht die sprichwörtliche Berliner Herzlichkeit Bände. In seiner jüngsten Presseerklärung zur Visafreiheit für polnische Touristen erklärte Innensenator Heckelmann, er habe die „chaotischen Zustände um den Polenmarkt“ im Tiergarten und die „unerträglichen Straftaten, Verschmutzungen und Belästigungen“ vor Einführung des Visumzwangs im April letzten Jahres noch gut in Erinnerung und sei für den zu erwartenden „polnischen Ansturm“ diesmal gerüstet.

Die Sofortmaßnahmen für den Ernstfall — mobile polizeiliche Eingreiftrupps, Park- und Halteverbotschilder, verlängerte Bürozeiten des Landeseinwohneramtes zwecks Ausweisungsantrag — hätten einem Lummer alle Ehre gemacht. Hinter den sprachlichen Barrikaden zeigt sich der politische Horizont: Hier wird nicht nur ein bislang nichtexistenter Polenmarkt „im Keim erstickt“; gleichzeitig soll mit der Rolle eines hauptstädtischen Berlins als Schaufenster zum Osten buchstäblich aufgeräumt werden.

Das Klima gegenüber nichtdeutschen Emigranten und Besuchern ist gereizt, und das Gerede von „polnischen Händlerwellen“ bestätigt viele in dem Glauben, Berlin befinde sich im Belagerungszustand. Um es klarzustellen: Die polnischen Gäste dürfen sich drei Monate visafrei in Berlin und der Bundesrepublik aufhalten. Vieles spricht dafür, daß sie fast ausschließlich als Tagestouristen kommen werden. Der Wegfall von billigen DDR-Produkten, die Preisfreigabe und damit die Verteuerung von polnischen Produkten sowie härtere Zollkontrollen werden den (auch) illegalen Handel erheblich einschränken.

Gewiß, die Besucher sind weniger an der Ausstellung im Ägyptischen Museum interessiert als an den Angeboten der Discountläden in der Kantstraße. Ein verständliches Verhalten und ein Umstand, der den WestberlinerInnen aus dem letztem Jahr eigentlich vertraut sein müßte. Die polnischen Touristen werden nicht wenigen Händlern und Konzernketten steigende Umsätze bescheren — der Fiskus wird es dankend zur Kenntnis nehmen. Sogar der unverdächtige Vorstand der City-AG, einer Vereinigung von Gewerbetreibenden rund um den Ku'damm, fühlte sich aufgerufen, auf diese Tatsache hinzuweisen.

Was das Schmutzempfinden betrifft: Sollte sich die Verwaltung einer Dreieinhalbmillionenstadt nicht in der Lage sehen, eine entsprechende Anzahl von Müllcontainern und sanitären Anlagen bereitzustellen, wäre sie gut beraten, lieber gleich auf ihre olympischen Ambitionen zu verzichten. Aus der Mülltonnenperspektive läßt sich schlecht eine neue Identität gewinnen. Wer polnische Touristen nur als „schwer steuerbares Problem“ für die Kriminal- und Stadtreinigungsstatistik versteht, hat seinen politischen Verstand an der Mauer abgegeben. Nana Brink