Weizsäcker in Halle umjubelt

■ Der Bundespräsident kommt in den neuen Bundesländern gut an/ Streibl fordert Mut und Fleiß

Berlin (dpa/taz) — Während sich der Bundeskanzler im Umgang mit den neuen Bundesbürgern im Osten noch üben muß und für den ersten kurzen Besuch vier Monate nach der Bundestagswahl bei einer Messe im Dom von Erfurt den Segen von Oben erflehte, trat der Bundespräsident bei seinem vierten Besuch in den neuen Bundesländern in staatsmännischer Selbstverständlichkeit auf.

Nach Antrittsvisiten in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg reiste Richard von Weizsäcker (CDU) zwei Tage lang durch Sachsen-Anhalt. Seine Erklärung in der Landeshauptstadt Magdeburg, er wolle im Osten hören und lernen und anschließend im Westen um Aufgeschlossenheit werben, wurde denn auch sofort als Kritik an Bundeskanzler Helmut Kohl verstanden.

Am Samstag sprach der Bundespräsident in den Leuna-Werken mit Belegschaftsvertretung und Unternehmensführung über die Sanierungsbemühungen des bislang größten Arbeitgebers in Sachsen-Anhalt.

Das mittlerweile krisengeschüttelte Chemieunternehmen hat seine Beschäftigungszahl seit vergangenen Sommer von 27.000 auf 20.000 abbauen müssen. Vermutlich werden es bis Jahresende nur noch 16.000 übrig sein. „Für mich, aus der Sicht der Arbeitnehmer betrachtet, ist dieser Besuch sehr fruchtbringend“, meinte später der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Weise. Man habe versucht, „ihm alles, was uns bewegt, zu sagen“.

Vor dem Stadthaus in Halle wurde Weizsäcker von einer Menschenmenge regelrecht umjubelt. Zuvor hatte nach einer Aussprache im Magdeburger Landtag der SPD-Fraktionschef Reinhard Höppner den Bundespräsidenten als Integrationsfigur bezeichnet, die wesentlich dazu beitragen könne, „die Unterschiede zwischen den Deutschen in Ost und West“ überwinden zu helfen.

Aus dem Freistaat Bayern weht indessen den ostdeutschen Bundesbürgern wieder mal der Wind ins Gesicht. In einem „Appell an die Menschen in den neuen Bundesländern“ klagt Ministerpräsident Max Streibl (CSU) gleich dreimal Mut, Fleiß und Beharrlichkeit ein. Auch die Westdeutschen hätten sich vor 40 Jahren auf ihre eigene Kraft verlassen müssen. „Ihr Arbeitsleben begann damals nicht mit Arbeitszeitverkürzungen, mit Spanien-Reisen und mit neuen Autos vor ihren Türen“, erinnerte Streibl. bg

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