Henriette, Honi, Helmut — Happy End

■ Die große Dennoch-Fete: Oranienburg wird 775 Jahre alt/ In der selben Woche endet die Kurzarbeiterwarteschleife: Jeder Zweite im Kreis arbeitslos?/ Die Vorbereitungen für die Riesenfeier laufen auf Hochtouren, bloß kosten darf sie nichts

Oranienburg. Kann man Feste feiern, wenn der Hälfte aller Teilnehmer zum Heulen zu Mute ist? Die Stadt Oranienburg tut's. Just in dem Monat, in dem Kündigungsschutz und Kurzarbeit für die vielen Metaller im Ort auslaufen, vom 28. bis 30. Juni soll das 775. Stadtjubiläum der 29.000-Einwohner-Kommune begangen werden. Jeder Zweite im Landkreis Oranienburg wird dann arbeitslos sein, so die düsteren Prognosen. Dennoch laufen derzeit die Vorbereitungen für die Riesenfete auf Hochtouren.

Ein Drittel Geschichte Oranienburgs, ein Drittel Geschichte des unaufhaltsamen Fortschritts der Arbeiterbewegung, ein Drittel Lob auf die DDR, alles dargestellt auf üppigen Festwagen, dazu Funktionäre, eine Woche Jubelfeierlichkeiten, Fahnen, Transparente, vielleicht gar hoher Parteibesuch aus der nahen Hauptstadt der DDR — so hätte es eigentlich werden sollen.

Geld hätte in der festivitätenfreundlichen Honecker-DDR kaum eine Rolle gespielt. In deren allerletztem Monat, im Oktober 1989, nahm ein eigens installiertes Komitee die Vorbereitungen für das Stadtfest auf.

Doch schon nach wenigen Wochen Vorbereitung ging außerplanmäßig die DDR in ihrem 40. Jahr zu Grunde. Nun fehlte ein Hauptinhalt, hatte die Arbeiter- und Bauernrepublik doch die Rolle der alles krönenden Erlösung nach 735jährigem elenden Ringen mit der deutschen Geschichte spielen sollen. Mit der DDR ging auch das Festkomitee unter, die Festidee aber blieb, bloß eine neue Dramaturgie mußte her...

Gab es die DDR?

Aber hatte die Ex-DDR überhaupt jemals existiert, schließlich hat die BRD ihr Gegenüber nie anerkannt? Mit dieser kniffligen Frage und anderen mußte sich der 71jährige Festzugs-Regisseur Eberhard Bleichert (siehe Interview), pensionierter Bühnenbildner vom Stadttheater Neustrelitz, erst einmal herumschlagen. Bleichert, der nach der Wende sein von den Funktionären vorgeschriebenes Regiebuch für das Fest umschreiben mußte, entschied sich für ein deutliches Ja. Im hinteren Teil der mehr als 80 Wagen und zahllose Fußtruppen umfassenden Geschichtskarawane wird nun in der Abteilung »1949« die Gründung von zwei deutschen Staaten vermeldet, obwohl einige Oranienburger Neu- Bundesbürger strikten DDR-Verzicht gefordert haben.

Das 775-Jahre-Jubiläum wird eine trotzige Dennoch-Feier, ein verzweifelter Versuch, die Aufmerksamkeit der großen weiten Welt zu erringen: Der Stadt gehe es vor allem auch darum, erklärt deren Pressesprecher Norbert Barowski, sich als Standort bekannt zu machen. Oranienburg brauche dringend Investoren, damit es irgendwann aufwärts geht. Bis dahin, haben die Stadtväter beschlossen, will man nicht nur Trübsal blasen. Festorganisatorin Elke Müller vom Kunst- und Werbeamt: »Die Oranienburger haben auch ein Recht auf ihr Heimatgefühl.«

Bloß kosten darf es nichts. Deshalb hat man die Jubelwoche auf drei Tage zusammengestrichen und keinerlei Mittel aus dem Stadthaushalt zur Verfügung gestellt. Damit niemand den Eindruck bekomme, die fast mittellose Kommune verprasse ihr Geld mit Feiern.

Der Große Kurfürst auf der Cola-Dose?

Wie aber stellt man 775 Jahre märkische Stadtgeschichte dar, ohne einen Pfennig aus der Stadtkasse? Der große Festzug — neben Kinderfest, buntem Markt- und Schloßkonzert die Hauptattraktion — muß nun ausschließlich von Sponsoren und Werbeträgern finanziert werden. Ein schwieriges Unterfangen: Schwedische Landsknechte im Adidastrikot, der Große Kurfürst auf einer überdimensionalen Cola-Dose, die ersten Siedler auf Planwagen der Grundkreditbank? Um dies zu verhindern, haben sich die Organisatoren zu einem Anhängsel entschieden: Nach Ablauf der 775 Jahre soll ein Selbstdarstellungsumzug des Gewerbes dem offiziellen Teil folgen.

Noch ist die Resonanz potentieller Sponsoren allerdings schwach, zumal das örtliche Gewerbe alles andere als blüht und gedeiht. Nicht einmal das vom Krupp-Konzern übernommene und stark ausgedünnte örtliche Kaltwalzwerk, größter Betrieb am Ort, hat bisher die Ausschmückung eines Festwagens zugesagt. Ein überregionaler Großsponsor hat sich ebenfalls noch nicht gefunden. Und dies, obwohl der gesamte Umzug dank vielfacher Improvisationen gerade um die 40.000 Mark kosten dürfte. Eine lächerliche Summe, für die reiche Westkommunen kaum ein Stadtteilstraßenfest zur Eröffnung des zweiten Bauabschnitts ihrer Fußgängerzone zustande brächten.

Henriette und die Marktwirtschaft

Henriette heißt die Hoffnungsträgerin des Festes, genauer, Louise Henriette von Nassau-Oranien. Die blutjunge holländische Prinzessin bekam 1650 als frischangetraute Gemahlin des Großen Kurfürsten das damals noch Bötzow genannte Amt nebst Jagdschloß und Dörfern geschenkt. Voll Hingabe stürzte sich die schöne Henriette ins neue Hobby, ließ nach holländischem Vorbild ein Schloß, ein vorbildliches Waisenhaus und allerlei Gewerbebetriebe errichten. Eine soziale Pionierleistung nach dem verherrenden 30jährigen Krieg, die der frommen Ausländerin viel Ruhm einbrachte. Nicht zuletzt in Form des Stadtnamens: 1652/53 wurde aus Bötzow Oranienburg.

In einem war die junge Landesmutter wesentlich schneller als ihre Nachfolger im 20. Jahrhundert. Als die von ihr gegründeten Handwerks- und Gewerbebetriebe nach einem Jahr nicht wirtschaftlich genug abrechneten, schaffte sie ihre staatliche Planwirtschaft kurzerhand ab und führte den marktwirtschaftlichen Kapitalismus ein: Die kurfürstinneneigenen Betriebe (KEBs) wurden an Privatbetreiber verpachtet und prompt florierte das Geschäft.

So hat sich dies mehr als drei Jahrhunderte später Dr. Kohl aus Oggersheim wohl vorgestellt, der übrigens im Festzug nicht vorkommt. Ebenso wenig wie Amtsvorgänger Honecker. In beiden Fällen wäre wohl auch mit Unmut im Publikum zu rechnen. Erwartet werden neben der einheimischen Bevölkerung auch Tausende von auswärtigen Besuchern, die der kilometerlangen, bunten Prozession aus kunstvoll aufgebauten Festwagen, Kapellen, Spielmannszügen, Fußvolk, Tieren, Geschützen und Gerätschaften, Fahnen und Wappen beiwohnen sollen.

Neben der Hoffnung auf Petrus richten sich die Hoffnungen der Festorganisatoren derzeit vor allem auf die Politiker. Um vieles glaubwürdiger wirkte doch das Ende der Oranienburger Historienparade, endete die Kurzarbeiterschleife nicht just im Juni, sondern fände sie wenigstens eine Verlängerung bis in den Herbst. Denn eines steht für Regisseur Bleichert schon fest: »Das Ganze muß ein optimistisches Ende kriegen.« Wie dieses Happy End konkret aussehen soll, war allerdings noch nicht zu erfahren. Thomas Kuppinger