: Alle schlagen, gegen jeden verlieren
■ Waldhof Mannheim — Stuttgarter Kickers 2:0/ Erste Kickers-Niederlage seit 29 Wochen
Mannheim (taz) — In Mannheim ist alles anders, keine Berge, keine Höhen, wie zu Kaiserslautern oder Degerloch. Kann man auch nicht runterfallen nach Niederlagen und blamablen Reinfällen. Schön für den SV Waldhof, die Blauschwarzen, den einen Traditionsclub der Quadratestadt, dessen größte Erfolge im Fußball sieben Bundesligajahre und ein gegen den 1. FC Nürnberg in grauer Vorzeit verlorenes Pokalfinale sind. Wie in Stuttgart gibt es auch hier noch die „Roten“, allerdings nicht in der Bundesliga, sondern seit mehr als fünfzehn Jahren in der Amateuroberliga. Drinnen, zwischen der mondänen Oststadt und dem noblen Neuostheim, zehrt der VfR Mannheim von seiner Deutschen Meisterschaft, errungen 1949 mit 3:2 in Stuttgart gegen Borussia Dortmund.
Die in der Manheimer City nicht grenzenlos geliebten Waldhöfer Vorstadtbuben, die immer noch ohne adäquate Spielstätte sind, haben im Gegensatz zu den Stuttgarter Kickers keine Probleme mit der örtlichen Konkurrenz, sie macht ihnen keine ZuschauerInnen streitig. Waldhof, das ist Bundesliga-Aufstieg 1983, Fast-UEFA-Cup-Teilnahme 1985, dann dauerhafter Abstiegsaspirant bis zum Relegationsdrama 1988 gegen Darmstadt, schließlich der Abstieg aus sicherer Höhe in den Alltag der 2. Bundesliga.
Die Besten gingen weg: Güttler nach Schalke, Franck nach Dortmund, Zimmermann zu Fortuna Köln, usw. Es blieben die, die keine Angebote hatten, hinzu kamen namenlose Amateure und Spieler, die günstig zu haben waren. Unter die ersten fünf wollte man kommen, wenn möglich um Platz 3 mitspielen, vielleicht auch ein bisserl mehr, so die subjektive Vorgabe. Aber, als Favorit wurden sie gehandelt, zusammen mit Schalke, Saarbrücken und den Kickers aus Degerloch.
Doch in den ersten Märzwochen 1991 begann in Mannheims Norden das Totenglöcklein zu läuten. 0:1 in Osnabrück, 1:3 in Schweinfurt, Niederlagen bei Abstiegskandidaten. Den Mainfranken schenkten die Waldhöfer gar ihren ersten Sieg überhaupt, schauten fortan sehnsüchtig steil nach oben gen Tabellenspitze, die nun in Gestalt der Kickers, der Zebras und der Knappen schon unerreichbar schien.
Vier Wochen danach hoffen sie wieder. 4:0 gegen den MSV, 2:1 in Schalke und nun 2:0 gegen die Stuttgarter Kickers. Jochen Müller und Lothar Dittmer, für die „Technik“ ein Fremdwort sein muß, köpften die Tore. Garanten des Erfolgs paradoxerweise der noch den Kickers angehörige, aber an Waldhof ausgeliehene Torhüter Kari Laukkanen und Ex-Kickers-Spieler Bernd Schindler, dessen Flanken immer Gefahr für Torhüter Brasas bedeuteten.
„Wir haben gezeigt, daß wir in der 2. Liga jede Mannschaft schlagen können, daß wir gegen jeden verlieren können, haben wir aber auch gesehen“, hatte Trainer Günther Sebert, ein halbes Männerleben auf dem Waldhof, nach dem Coup von Gelsenkirchen in Selbstironie zum Besten gegeben. Nach dem Schweinfurter Reinfall hatte das Präsidium den Spielern die Gehälter gekürzt und gedroht, notfalls werde man es machen wie damals der 1. FC Nürnberg. „Womit ich einen totalen Neuaufbau meine.“ (Präsident Grüber)
Nun, da den Blamagen gegen die Underdogs Höhenflüge gegen die Krösusse der Liga folgten, fragen Trainer und Spieler verunsichert nach den Perspektiven. Sebert: „Zunächst muß Klarheit herrschen, wer in der nächsten Saison Trainer ist.“ Und den Kapitän Roland Dickgießer würde „interessieren, was der Verein künftig vorhat. In drei, vier Wochen ist der Markt doch leer, dann sind auch die guten Amateure unter“, gab er zu bedenken.
Nun ist das Präsidium am Zug, denn durch den Sieg gegen die Kickers haben die Blauschwarzen nochmal einen Fuß in die Eingangstür zur ersten Bundesliga gesetzt, freilich noch etliche Zähler entfernt von denen ganz oben. Den zweiten Fuß will man nun schnell nachziehen, schon nächsten Samstag eine Serie beginnen, mit einem Sieg in Homburg, wo noch eine Rechnung offen ist: die Revanche für die 1:2-Heimniederlage vom April 1990, als die Saarpfälzer die Kurpfälzer mit in die 2. Liga rissen. Den Mannheimer Vorstädtern ist in dieser Spielzeit jetzt alles zuzutrauen, einfach alles: Alle schlagen und gegen jeden verlieren. Günter Rohrbacher-List
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