Der Fluch des Regenschirms

Der bulgarische Ex-Parteichef Schiwkow befahl Regenschirmmorde an Oppositionellen  ■ Aus Sofia Roland Hofwiler

Die bulgarischen Medien kennen in diesen Tagen nur ein Thema: die Morde an Regimekritikern und Emigranten, die der gestürzte Staats- und Parteichef Todor Schiwkow persönlich angeordnet haben soll. Zum Wochenende machte dazu der frühere sowjetische KGB-General und heutige Reformer und Jelzin-Sympathisant Oleg Kalugin unerwartete Enthüllungen im bulgarischen Fernsehen. Dabei behauptete er, Todor Schiwkow, gegen den seit Wochen in Sofia der Prozeß gemacht wird, habe über den seinerzeitigen Innenminister Dimitar Stoyanow 1977 beim KGB um Amtshilfe beim „Umlegen von Regimekritikern“ nachgesucht. Vor allem der abtrünnige Georgi Markov „müsse auf der Stelle liquidiert werden“.

Tatsächlich erlag der damals populärste bulgarische Schriftsteller am 7. September 1978 — dem Geburtstag Schiwkows — in seinem Londoner Exil dem bis dahin unbekannten Gift Ryzin. Ein Unbekannter hatte es ihm — in schmelzender Hülle verpackt — auf der Waterloo- Brücke mit Hilfe eines präparierten Regenschirms in die Wade geschossen.

Anschuldigungen, hinter dem Mord stehe der bulgarische Geheimdienst, wurden in Sofia damals als „ungeheuerliche Unterstellung“ entschieden zurückgewiesen. Doch die „Regenschirmmethode“ fand fortan Nachahmung. Wenige Zeit später entging Vladimir Kostow, Starreporter der kommunistischen Tageszeitung 'Rabotnitschesko Delo‘, der aber zwischen den Zeilen zu scharfe Kritik wagte, nur knapp einem ähnlichen Mordversuch. Andere jedoch starben an den Folgen.

Das Know-how zur Herstellung von Ryzin, so Kalugin, habe die Sowjetunion den Bulgaren geliefert, die „Regenschirmmethode“ sei dann auf Schiwkows Weisung in heimischen Labors verfeinert worden. Glaubt man Kalugin, so soll der damalige KGB-Chef und spätere Sowjet-Führer Jurij Andropow Schiwkow allerdings wörtlich erklärt haben: „Die Zeiten für politische Morde sind vorbei.“ Um die engen und „brüderlichen“ Beziehungen zum bulgarischen Staats- und Parteichef nicht zu trüben, habe dann die Sowjetführung Schiwkow zwar freie Hand gelassen, aber darum gebeten, an den Attentaten nicht direkt beteiligt zu werden, so Kronzeuge Kalugin. Doch noch 1977 probten KGB- Experten das Gift an Pferden und zum Tode verurteilten politischen Häftlingen aus.

Jetzt kann sich Schiwkow an nichts mehr erinnern: „Das klingt wie ein Abenteuerroman“, so der Ex-Diktator vor Gericht, „meine Moral und Überzeugung hätten mir nie erlaubt, solches zu genehmigen.“ Die Bulgaren hoffen nun, daß auch die Anklage gegen den verhaßten Parteichef, der sich seit Ende Februar vorerst nur wegen „persönlicher Bereicherung“ und „Hinterziehung von Volkseigentum“ zu verantworten hat, auch auf „Anstiftung zu Mord“ ausgeweitet wird. Bestraft werden sollen auch Innenminister Grigor Schopow sowie die Leiterin des Geheimdienstarchivs Nanak Serkediewa und der Chef der Spionageabteilung Vlado Todorow. Das Problem dabei: Die Akte Georgi Markov wie auch die Akte „Herstellung von Ryzin“ sind spurlos verschwunden. London wie Moskau haben noch nicht zugesagt, ihre Geheimunterlagen zu überstellen.