Wir sind so häßlich

■ Trabis für die Erben des Conducators — Eine Initiative bürgerbewegter Berliner

Mittwoch morgen auf einem Parkplatz in Marzahn. Hier hat Andreas Risse, bürgerbewegter Marzahner und Organisator des Hilfskonvois für Rumänien, die Sendlinge abgestellt. Vier Trabis, die in den letzten Wochen im Gemeindezentrum des Stadtbezirks abgegeben wurden. Der Graue, der Gelbe, der Gescheckte, der Weiße. Vollgepackt mit Kleidersäcken, Spielzeug, Ersatzteilen. Letzte Absprachen vor dem Start: Lichtzeichen für die Pullerpause und Havarie. Die Etappenziele: Prag, Wien, Budapest. Dann mit der Bahn zurück. Vier Tage. Das Abenteuerteam: Ilka, Katja, Thomas, Andreas und ich. Das Abenteuer: den Mobilen, die alle schon mehr als 100.000 Kilometer unter den Rädern hatten, auch noch die rund 1.000 bis zur Donaumetropole zu entlocken. Gibt es Steigerungsformen von »authentisch«?

Vielleicht müssen wir einen oder zwei der Gespendeten anschieben, warnt uns Andreas. Die Batterien. Leider behält er recht. Der Gescheckte wird zum Problemfall erklärt, die Bremsen sind nicht ganz in Ordnung. Das Problem fährt uns voran, klappt noch in der Stadt die Motorhaube hoch. Rechts ran mit ihm. Das Problem wird endgültig zum Sicherheitsrisiko erklärt und darf nicht mehr mitfahren. Und wieder einer steht am Straßenrand. Da warens nur noch drei.

Authentisch, authentischer, am authentischsten. Essen im Selbstbedienungsrestaurant Schloß Pillsnitz. Hinter Dresden an der Elbe gelegen. Das Katalogwort: malerisch gelegen. Die Selbstbedienung: Tresenfrau nimmt Bestellung entgegen, kritzelt das Codewort auf den Kassenbon. In meinem Fall lautet es »Gyros«. Drei Meter weiter versucht sich die Küchenfrau als Kundschafterin. Für die Nachricht auf dem Zettel erhalte ich zwei Eispackungen. »Gyros«, versuche ich zu korrigieren, »Gyros«. Was zu essen, was ausländisches. Aber da steht doch »Galanta«, das sei Eiscreme. Nur weil ich Hunger habe beharre ich auf meiner Lesart. Bin sogar bereit, die Tresenfrau als Zeugin anzuführen. Endlich wandert »Galanta« zurück in die Kältestarre und ich, mit Aluminiumbesteck bewehrt, in den Gastraum. Die anderen grinsen mich an. Bockwurst mit Salat, das habe die Küchenfrau sofort verstanden.

An den Steigungen röhrt der Motor, selbst bei vollem Schub verliert das Gefährt ständig an Geschwindigkeit. Mensch murmelt Beschwörungsformeln, lauscht der gequälten Maschine. Jetzt bloß nicht bewegen, sonst passiert das Schreckliche. Aufatmen am Gipfelpunkt, die gestauchte Zeit entlädt sich. Ins Tal rasen mit 90, Schwung für die nächste Hürde. Ad infinitum.

Bei Brünn scharf rechts auf die Landstraße nach Wien. Die K.u.K.- Monarchie kehrt zurück: den verschlafenen Dörfern längs der Route haben Elektronikkonzerne und Banken ein paar dieser überdimensionierten Werbeflächen beschert. Leuchtende Ikonen der schon feststehenden Sieger eines noch ausstehenden wirtschaftlichen Aufschwungs.

Und weil's so schön ist: Besichtigung der Kirche auf dem Berge. Im Grenzflecken Mikulov hätte unsere Reise noch vor zwei Jahren auf der Polizeistation geendet. Versuchte Republikflucht. Heute sind auch wir Angehörige eines reichen Volksstammes, von dem sich die Kinder Kaugummi und Kleingeld erhoffen. Dieser Positionswechsel macht dem Idealisten zu schaffen. Wir ziehen uns auf den Felsen zurück, versuchen, wenigstens den Ausblick zu genießen. Das gelingt. Andreas zeigt in die Flur. Österreich fange dort an, wo sich die Felder so ordentlich hingelegt hätten. Er hat recht. Dieses Land empfängt uns ordentlich. Ordentliche Zöllner, ordentliche Häuser, ordentliche Autos. Schlagartig sind sie wieder da, die Minderwertigkeitskomplexe. Mit den Trabis stören wir hier nur. Auf der Straße duldet man uns allenfalls. Wer so was fährt, gehört rechts neben die Sperrlinie. Damit die ordentlichen Autos recht schnell überholen können.

Das reiche Wien wird uns zur Prüfung. Knatternd fahren wir in das Heiligtum des 1. Bezirks ein, unter den strafenden Blicken distinguierter Damen und Herren sinken wir mehr und mehr in die unbequemen Sitze. Sie haben ja so recht, wir sind ja so häßlich. Flucht von der Straße in eine Tiefgarage. 45 Schilling pro Stunde und Auto kostet unser Versteck. Nur schnell den Stadtplan kaufen, Geld wechseln. Raus aus dem Zentrum, noch einmal Spießruten fahren. Aufatmen, als wir unsere Herberge im 3. Bezirk gefunden haben. Der Entschluß: nur noch im Taxi durch Wien. Nie wieder Trabant!

Die besondere Attraktion der »Herberge im Turm« ist zweifelsohne das abendliche und morgendliche Glockenläuten. Unser Zimmer im achten Stock schwankt irgendwo zwischen vier und fünf auf der Richterskala. Die Besucher aus Süditalien kämen immer ganz aufgeregt zu ihm gelaufen, sagt der Herbergsvater verschmitzt. Es gäbe aber keinen Grund zur Sorge. »Genießen Sie Wien«, gibt er uns auf den Weg. An solch lauen Frühlingsabenden sei die Stadt ganz besonders schön. Der Mann hat recht. Vor Cafés und Kneipen stehen die Tische auf dem Trottoir. Wir sitzen und lassen Wien passieren. Kurz vor der endgültigen Versöhnung mit dieser Stadt müssen wir zum Quartier zurück. Die Sperrstunde. In Erwartung des morgendlichen Bebens sinken wir auf die Pritschen.

Als uns hinter der Grenze die ersten Trabis mit ungarischem Kennzeichen entgegenkommen, geht es mir wieder besser. Langsam richte ich mich wieder auf. Soweit es der Sitz zuläßt. Gleiche unter Gleichen: das ehemalige Bruderland importierte Tausende der Zwickauer Zweitakter. Für viele Ungarn sind sie noch immer eine Alternative zu den für Normalverdiener fast unerschwinglichen westlichen Fabrikaten. Auch deshalb herrscht in Budapest fast ständig Smog. Durch einen Fehler beim Kartenlesen kommen wir in den zweifelhaften Genuß der nachmittäglichen Rush hour im Innenstadtbereich. Die typischen Streßsymptome: Achselschweiß, feuchte Hände, beginnender Kopfschmerz. Zehn Kilometer in einer Stunde. Vor der Kirche der Malteser in einem Villenvorort kriechen wir erschöpft aus den Pappen. Es reicht. Wir sehen uns an und erklären die Mission für beendet. Bis zur Abfahrt des Zuges morgen nur noch relaxen. Schnell irgendeinem Verantwortlichen Papiere und Schlüssel in die Hand drücken, ein paar freundliche Worte wechseln, die Taschen schnappen und weg. No more Trabi. Der Chef? Der sei dort beim Truck, helfe beim Beladen. In einer Stunde sei das erledigt.

Die Stunde dauert drei, und das nur, weil wir helfen. Schulmaterial sei das, für zwei Gemeinden in dem zur Sowjetunion gehörenden Teil der Karpaten. Auch dort würden Ungarn leben, wie in allen angrenzenden Ländern. Die zu unterstützen sei eine ständige Aufgabe ihrer Organisation. Selbstverständlich auch die sofortige Hilfe in Krisensituationen. Im Sommer '89 für die aus der DDR fliehenden Deutschen, im Winter dann für die Menschen in Rumänien. Vor allem für sie müsse auch jetzt noch viel getan werden. Die Trabis beispielsweise würden nach der Erledigung der Formalitäten an Stützpunkte der Malteser auf dem flachen Land weitergeleitet werden. Jetzt aber sei es doch schon zu spät für den Papierkram und wir sollten uns doch erst einmal von der anstrengenden Reise ausruhen. Natürlich seien wir ihre Gäste, würden in der Stadtmission Unterkunft erhalten. Dort sitzen die Obdachlosen der Metropole beim Abendbrot. Sie schlaffen im Parterre, wir im zweiten Stock. Wir gehen Pizza essen und geben uns dem leichten Grusel einer Nacht im Asyl hin. Wir fahren morgen wieder, tragen alle einen Wohnungsschlüssel in der Tasche. Der Schlafwagenschaffner wird freundlich zu uns sein, einiges zur Lage des Unternehmens »Mitropa« erzählen und uns kurz vor Berlin wecken. Wir werden uns voneinander verabschieden, bis zum nächsten Mal. Dann werden es vielleicht zwanzig Autos sein, werden Speditionsfirmen und 'Morgenpost‘ ihre Hilfe anbieten, werden endlich Spendengelder auf das Konto eingegangen sein. So soll es sein. Den Pionieren folgen die Heerscharen. Nur selten sind es die himmlischen. Baumgartner

Was die Hilfsaktion jetzt braucht, sind vor allem Geldspenden. Auf das Konto 652575-109 beim Postgiroamt (BLZ 10010010). Kennwort »Malteser«. Wer sein altes Auto zur Verfügung stellen will, kann montags und donnerstags von 10 bis 12 Uhr, mittwochs von 15 bis 17 Uhr und freitags von 16 bis 18 Uhr unter 5407264 anrufen (Wessis wählen erst die 9).