Neue Geheimwaffe GS-15 frißt Metall

Wissenschaftler haben natürliche Bakterien ausfindig gemacht, die ihren Speiseplan von Eisen auf Uran umstellten  ■ Von Ralf Sotscheck

Eine Gruppe von US-Wissenschaftlern des Geologischen Amtes in Virginia hat Mikroben entdeckt, die radioaktiven Müll fressen. Die natürlichen Bakterien mit der Bezeichnung GS-15 ernähren sich von löslichen Metallionen — auf Forscherdeutsch: Biosorption. Das wissenschaftliche Team unter Leitung von Derek Lovley hat nun festgestellt, daß die Mikroben nach Umstellung ihrer Diät von Eisen auf Uran doppelt soviel Appetit und Energie entwickeln. Die gelösten, radioaktiven Uranionen werden von den Bakterien gebunden und dann in eine feste Form umgewandelt, die, so die Hoffnung, leichter „entsorgt“ werden kann. Bisher sind dafür teure — und bei großen Mengen oftmals ungeeignete — chemische Verfahren notwendig.

Mikroorganismen spielen auch sonst eine wachsende Rolle im Umweltschutz, da sie schädliche Substanzen wie Öl und PCBs binden können. Im vergangenen Jahr haben kanadische Wissenschaftler herausgefunden, daß ein Mikrobencocktail aus Abwasserschlamm unter idealen Bedingungen Radium bis zu 25 Mal wirksamer aus atomaren Abfällen isoliert als ein Verfahren nach dem Prinzip des Ionenaustausches. In einer anderen Untersuchung nahmen sich die Forscher nahezu hundert verschiedene Mikroorganismen vor. Ergebnis: Bestimmte Bakterien absorbieren je Gramm 80 bis 90 Milligramm Uran. Ökonomisch sinnvoll ist die Biosorption jedoch erst ab 150 Milligramm.

Das sollen die von den US-Wissenschaftlern entdeckten GS-15- Bakterien leisten. Das Ergebnis der Versuchsreihe erkläre auch die Ablagerung von Uran auf dem Boden vieler Gewässer. In dem Bericht, der am vergangenen Wochenende von dem renomierten britischen Magazin 'Nature‘ abgedruckt wurde, heißt es: „Das hier vorliegende Ergebnis läßt den Schluß zu, daß es in vielen Fällen möglich sein kann, die Urankontamination durch bakterielle Reduktion auf dem Meeresboden und im Grundwasser zu binden.“ Die Bakterien könnten vor allem in Uranbergwerken eingesetzt werden, wo das Grund- und Oberflächenwasser radioaktiv verseucht wird. Derek Lovley glaubt darüber hinaus, daß bestimmte Mikroben auch andere radioaktive Metalle wie Plutonium von einer löslichen in eine unlösliche Form umwandeln können, was die Beseitigung von Atommüll vereinfachen und verbilligen würde.

Die Oberfläche der Mikrobenmembrane besteht aus einem Mosaik großer Moleküle, deren Atome Metallionen binden. Ein wichtiger Bestandteil der Zellwände ist Chitin, eine Substanz, die im Skelett und den Flügeln von Insekten vorkommt und Uran bindet. Wenn das Chitin aus der bakteriellen Zellwand extrahiert und isoliert eingesetzt wird, wird weniger Uran gebunden. Das deutet darauf hin, daß die Zellmembrane auch über andere Formen der Absorption verfügen, möglicherweise eine Form des Ionenaustausches.

Um das Verfahren jedoch im großen Rahmen einzusetzen, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein: Das Metall muß durch einen chemischen Prozeß von der Zelle getrennt werden können, ohne die Membranstruktur zu zerstören. Im Idealfall sollten die Zellen zahlreiche Biosorptionszyklen überstehen. Da in verschiedenen Versuchsreihen nachgewiesen wurde, daß tote Zellen besser biosorbieren als lebende, entfällt die Notwendigkeit der Nährstoffzuführung.

Ein Sprecher der britischen Atomenergiebehörde sagte, daß bisher keine Pläne bestünden, die Methode der Biosorption weiterzuentwickeln. Allerdings wolle man sich über das Potential informieren, das die Mikroben für einen Einsatz in der atomaren Wiederaufbereitungsanlage Windscale/Sellafield haben. Nick Cassidy von der Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“ ist jedoch skeptisch. „Die Idee ist keineswegs neu. In einigen Atomkraftwerken wird Seetang benutzt, um Cäsium zu absorbieren.“ Cassidy wies darauf hin, daß für jede Art von Radionukleiden lange Versuchsreihen erforderlich seien. „Vielleicht erweist sich die Biosorption ja in einigen Jahren als vernünftiges Verfahren, um Atommüll zu konzentrieren“, sagte er. „Man sollte sich aber über die Gefahren im klaren sein, wenn dazu beispielsweise gentechnische Manipulationen an den Bakterien vorgenommen werden müssen.“