Die starken Arme der Astronauten

Der „Atlantis“-Flug bescherte der Nasa die gewohnte Panne: Wenn die High-Tech versagt, ist schlichte Handarbeit gefragt  ■ Von Bärbel Petersen

Fast schien sich das amerikanische Weltraumunternehmen „Atlantis“ in die Kette von Pleiten, Pech und Pannen einzureihen. Hochgezüchtete High-Tech konnte wieder einmal nur durch schlichte Handarbeit vor dem Debakel im All bewahrt werden. Die starken Arme der Astronauten verhinderten am Sonntag jedenfalls einen frühzeitigen Abbruch derAtlantis-Mission.

Die fünfköpfige Besatzung der „Atlantis“ hatte sich ins All aufgemacht, um einen schwergewichtigen Beobachtungssatelliten, dem „Gamma Ray Observatory“ (Gro), zur Messung von Gammastrahlen auszusetzen. Nach dem vor einem Jahr gestarteten 1,5 Milliarden Dollar teuren Hubble-Teleskop ist es das zweite von vier Projekten, mit denen die Wissenschaftler den Ursprüngen des Universums auf den Grund gehen wollen.

Da die Gammastrahlung von der Erdatmosphäre weitgehend „verschluckt“ wird, kann sie nicht direkt von der Erde aus gemessen werden. Deshalb greifen Forscher zu Ballons, Höhenraketen und Satelliten, um ihr näher zu sein. Durch Gammastrahlen können sie „direkt in das Herz der starken Energiequellen“ sehen, wie beispielsweise Supernovareste, Neutronensterne, Pulsare, Quasare und natürlich die berühmten „schwarzen Löcher“. Denn die Gammastrahlung kann den interstellaren Staub durchdringen und daher Auskunft über sonst verborgene Objekte geben.

Amerikanische Satelliten haben in den sechziger Jahren zum ersten Mal mehr oder weniger zufällig das Phänomen der Gamma-Ausbrüche entdeckt. Möglicherweise entsteht die explodierende Hochfrequenzstrahlung, wenn sich Objekte den Neutronensternen nähern. Denn in den Polkappen dieser Sterne lagern Magnetfelder von Billionen Gauß sowie enorme Schwerefelder. Mit dem „Gamma Ray Observatory“ erhofft sich die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa mindestens zwei Jahre lang Computer mit Daten über die kosmische Strahlung füttern zu können. Das 17,5 Tonnen schwere und 617 Millionen Dollar teure Observatorium wird aus einer Höhe von 450 Kilometern Gammadaten zur Erde funken.

Unerwarteter Weltraum-Spaziergang

Aber fast hätte die Nasa darauf verzichten müssen, denn die Funkantenne des „Gro“ klemmte. Als Linda Godwin, die einzige weibliche Astronautin des Shuttle-Teams, mit Hilfe eines Roboterarms das Observatorium aus der Ladebucht der Atlantis hievte, um es im Schatten der Raumfähre zu parken, schien alles okay zu sein. Erst beim Ausklappen der Sonnensegel und der Parabolantenne, bemerkte sie die Panne. Nachdem fünf ferngelenkte Reparaturversuche fehlschlugen, machten sich zwei Astronauten auf den Weg ins All, um per Hand die 4,8 Meter lange Antenne zu lösen und aufzurichten. „Sie ist frei, sie ist frei“, kommentierten Jerry Ross und Jerome Apt ihren handwerklichen Erfolg. Seit über fünf Jahren hielten sich zum ersten Mal wieder amerikanische Astronauten außerhalb ihres Raumschiffes auf. Inzwischen schwebt das Observatorium im Weltall und funktioniert, wie ein Nasa-Sprecher verlauten ließ.

An dem „Gro“-Projekt ist auch das deutsche Unternehmen Messerschmitt-Bölkow-Blohm beteiligt, das ein „Imaging Compton“-Teleskop baute. Das Münchener Max- Planck-Institut für extraterrestrische Physik will damit Gammastrahlen in der Milchstraße der Erde und dem Umfeld messen.

Eigentlich sollten sich die Astronauten erst am Montag offiziell außerhalb der Atlantis aufhalten, um „Arbeitstechniken für den geplanten Bau der neuen amerikanischen Raumstation ,Freedom‘“ zu erproben, die um das Jahr 2000 einsatzbereit sein soll. Obwohl die Nasa immer wieder den zivilen Zweck der Atlantis-Mission hervorhebt, denn mit den 17 Tonnen sei die bisher schwerste nichtmilitärische Fracht ins All geschickt worden, blieben auch diesmal militärische Experimente nicht aus.

Dabei handelte es sich um Versuche, die mit dem „Krieg der Sterne Programm“ (SDI) des Pentagon, daß unter der Reagan-Administration Anfang der achtziger Jahre aus der Taufe gehoben wurde, in Zusammenhang stehen. Eines der vier Instrumente an Bord des „Gro“ gehört der US-amerikanischen Marine. Es ist ein hochsensibles Spektrometer, daß Gammaquellen von der Sonne bis zu Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxien registrieren kann. Gammastrahlen entstehen, wenn hochenergetische Elektronen, Protonen und schwere Atomkerne (alle drei zusammen sind die kosmische Strahlung) aufeinanderprallen. Das deutet auf extrem „gewalttätige“ Vorgänge hin, die natürlich eine SDI-Waffe, aber auch Raketen und Astronauten gefährden.