„Eine Vergeudung für dumme Zwecke“

Private US-Wissenschaftsorganisation deckt streng gehütetes Pentagon-Geheimnis auf: atomar angetriebene Raketen für den Weltraum  ■ Von Silvia Sanides

Das Pentagon entwickelt seit einigen Jahren im Rahmen des Starwar- Programms (SDI) mit Atomreaktoren angetriebene Raketen. Informationen über die streng geheimgehaltene Forschung veröffentlichte jetzt die private Organisation „Federation of American Scientists“. Atomar betriebene Raketen sollen dazu dienen, Lasten in den Weltraum zu befördern, die für herkömmliche Raketen zu schwer sind. Die Entwicklung der Raketen, so Stephen Aftergood von der „Federation“, steht zwar noch am Anfang, doch ist zumindest ein Test mit Brennelementen des zukünftigen Reaktors — allerdings nur teilweise erfolgreich — abgeschlossen worden. Weitere Tests sollen im Atomwaffentestgelände von Nevada stattfinden. Dabei erwarten die Pentagon-Experten bei einem „meltdown“ des Versuchsreaktors eine geringe Erhöhung der radioaktiven Strahlung außerhalb des Testgeländes. Weiterhin erwägt das Pentagon gemäß der jetzt veröffentlichten Papiere einen Probeflug mit einem Prototyp der Rakete im antarktischen Raum. Dabei besteht laut Pentagon- Berechnungen eine geringe Gefahr (1:2325), daß die Rakete über Neuseeland abstürzt.

Atomreaktoren können den Raketen angeblich mehr Schubkraft verleihen als bisher angewendete Antriebsmethoden, die auf chemischen Reaktionen basieren. Anstatt der Höchstlast von 20 Tonnen, die eine Titanrakete heute in den Weltraum hieven kann, soll eine atomar betriebene Rakete 70 Tonnen auf die Umlaufbahn befördern.

Aftergood kritisiert das mit dem Codename „Timberwind“ bedachte Geheimprojekt als „eine Vergeudung von Steuergeldern für dumme und möglicherweise gefährliche“ Zwecke. Die „Federation“ hat sich in der Vergangenheit gegen jede Verwendung von atomaren Energiequellen im erdnahen Raum ausgesprochen. Bisher haben die Amerikaner lediglich atomar betriebene Generatoren, die ihre Energie aus dem natürlichen Zerfall radioaktiver Stoffe beziehen, an Bord von Raketen gestartet.

Diese Generatoren dienen nicht zum Antrieb von Raketen, sondern als Stromlieferanten für wissenschaftliche Experimente. So sind zum Beispiel die Jupitersonde „Galileo“ und die Sonde „Ulysses“, die die äußeren Bereiche des Sonnensystems erforschen sollen, mit Plutoniumgeneratoren ausgerüstet. Beide Sonden wurden in den letzten Jahren trotz der Proteste verschiedenster Umweltgruppen an Bord von Raumfähren gestartet. Kritiker hatten gewarnt, daß ein Startunfall der Fähren, wie ihn die „Challenger“ erlitt, die radioaktive Verseuchung der Erde zur Folge haben könnte.

Im Gegensatz zu den Atomgeneratoren produzieren Atomreaktoren Energie mittels aktiver Atomspaltung. Aftergood warnt deshalb, daß beim Start atomar betriebener Raketen radioaktive Substanzen mit den Abgasen freigesetzt würden. Die für den Weltraum maßgeschneiderten Reaktoren sollen eine Temperatur von 1.500 Grad erreichen, während sich herkömmliche Atomreaktoren nur auf 300 Grad erhitzen. Dies verleihe ihnen zwar ein hohes Maß an Effizienz, aber zum anderen, so Aftergood, erhöhe sich die Gefahr eines katastrophalen „meltdowns“. Dagegen haben Experten des Pentagon und der Nasa in der Vergangenheit wiederholt behauptet, Atomreaktoren auf Raketen stellten keine Verseuchungsgefahr dar. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn man die Reaktoren erst anschalte, nachdem sie den erdnahen Raum verlassen haben.

Im Laufe des vergangenen Jahres wurde auch die Nasa in das „Timberwind“-Projekt eingeweiht. Die Raumfahrtbehörde interessiert sich für Atomreaktor-betriebene Raketen, um die Reisezeit zu fernen Planeten zu verkürzen. Eine Einfachreise zum Mars beispielsweise ließe sich mit Hilfe eines Atomreaktors angeblich von 450 bis 500 Tagen heute auf 60 bis 90 Tage drosseln. Dies wäre besonders für die bemannte Raumfahrt von Interesse, weil damit das Ausmaß gefährlicher solarer und galaktischer Strahlung, der die Mannschaften ausgesetzt sind, reduziert würde.

Da die Finanzierung von SDI im Kongreß umstritten ist, hofft das Pentagon womöglich mit Hilfe der Nasa das Projekt zu retten. Jedoch haben die Parlamentarier auch die bemannte Raumfahrt in den letzten Jahren äußerst knapp bedacht. Es ist kaum zu erwarten, daß „Timberwind“, über das bisher nur einige wenige Abgeordnete informiert waren, die Geldgeber großzügiger gegenüber SDI oder Nasa stimmen wird. Immerhin wird allein die Entwicklung des Atomreaktors mindestens eine Milliarden Dollar kosten. Daß der Kongreß in dieses Projekt bisher nicht eingeweiht war, zeugt laut Aftergood von einer „bemerkenswerten Verachtung für den Steuerzahler“.