Li Peng hält den Kurs

Zum Abschluß des Volkskongresses sieht Chinas Premierminister die Geschichte auf seiner Seite und bestreitet Rücktrittsabsichten/ „Ohne resolute Maßnahmen hätten wir Chaos wie in Osteuropa“  ■ Aus Peking Simon Long

Das Urteil der Geschichte über die Anwendung militärischer Gewalt zur Niederschlagung der Proteste des Junis 1989 sei bereits gefällt, erklärte der chinesische Premierminister Li Peng gestern. Mit offensichtlicher Schadenfreude über die wirtschaftliche Misere in Osteuropa, die er auf die demokratischen Reformen zurückführte, meinte Li: „Wenn wir nicht gezwungen gewesen wären, resolute Maßnahmen zu ergreifen, dann befände sich China jetzt in wirtschaftlichem Chaos und politischer Instabilität, die mindestens ebenso schwerwiegend wären wie in den ehemals sozialistischen Ländern.“ Vor der jährlich zum Ende der zweiwöchigen Plenarsitzung des Nationalen Volkskongresses stattfindenden Pressekonferenz weigerte sich Li, auch für die Zukunft die Anwendung von Gewalt bei der Behandlung ernsthafter innenpolitischer „Widersprüche“ auszuschließen.

Die Pressekonferenz ist ein von vielen Chinesen mit Spannung erwartetes Ereignis. Live im Fernsehen übertragen, bietet sie eine einzigartige Gelegenheit zu beobachten, wie der Premier von der aus- und inländischen Presse gelöchert wird.

Li Peng nutzte die diesjährige Konferenz zum Versuch, Spekulationen über seine eigene politische Zukunft zu beenden. Er habe nicht die Absicht, vor dem Ende seiner fünfjährigen Amtszeit im Jahre 1993 zurückzutreten, erklärte er. Unaufgefordert bestritt Li Gerüchte, daß die KP ihren nächsten, den 14. Parteikongreß, der im kommenden Jahr stattfinden soll, vorzeitig einberufen will.

Allerdings wirkte das Auftreten Li Pengs eher defensiv. Denn am Montag bestätigte der Nationale Volkskongreß die Ernennung von zwei neuen Vizepremierministern, des Schanghaier Bürgermeisters Zhu Rongji und des Chefs der Staatlichen Planungskommission, Zou Jiahua. Einer der beiden könnte möglicherweise Nachfolger Li Pengs werden.

Abgesehen von den im Juni 1989 erfolgten Umbesetzungen in der Führung der Kommunistischen Partei in der Folge des Pekinger Massakers sind diese Ernennungen die hochrangigsten der letzten drei Jahre.

Ihr Bemühen, einen Eindruck von Stabilität zu vermitteln, hat die chinesische Führung seit dem weiteren Wechsel in der Führungsspitze vermieden. Möglicherweise sind aus demselben Grund für Zhu und Zou zusätzliche Posten als Vizepremiers geschaffen worden, obgleich Yao Yilin, einer der amtierenden Vizepremiers, als sehr krank gilt und außerstande war, an der diesjährigen Sitzung des Volkskongresses teilzunehmen.

Einer der Neuzugänge, Zou Jiahua, hat allerdings vor 16 Monaten die Nachfolge von Yao Yilin an der Spitze der Staatlichen Planungskommission angetreten und gilt wie dieser als Verfechter einer konservativen Wirtschaftspolitik.

Der andere Neue jedoch wird die Bemühungen Chinas unterstreichen, die Außenwelt davon zu überzeugen, daß die Führung auch weiterhin einem wirtschaftlichen Reformkurs verpflichtet bleibt. Zhu Rongji ist während der vergangenen drei Jahre der Bürgermeister der größten Stadt Chinas, Schanghai, gewesen. Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur weist zu Recht darauf hin, daß Zhu sich in dieser Zeit den Ruf eines „pragmatischen und effizienten Mannes erworben hat“.

Augenblicklich befindet er sich auf einer ausgedehnten Europa- Tour. Dabei geht es ihm hauptsächlich darum, finanzielle Mittel für die ehrgeizigen Entwicklungsvorhaben Schangais aufzutun. Er gilt als entschlossener Verfechter einer Politik der „offenen Tür“, die der Spitzenpolitiker Deng Xiaoping eingeleitet hat. Zhu, der in den 50er Jahren als „Rechtsabweichler“ kritisiert worden war, findet Unterstützung bei einigen Intellektuellenkreisen Chinas; dies ist auch darauf zurückzuführen, daß er die gegen die Staatsführung gerichteten Proteste in Schanghai im Frühjahr 1989 ohne Armee-Einsatz in den Griff bekam.

Abgesehen von diesen Ernennungen hat der diesjährige NVK wenig erreicht. Bei der gestrigen Abschlußsitzung haben die 2.600 wie üblich mit großer Mehrheit alles verabschiedet, was ihnen vorgelegt wurde. Das schloß in diesem Jahr die Richtlinien für den achten Fünfjahresplan und eine auf zehn Jahre ausgelegte Entwicklungsstrategie ein. Beide Dokumente stellen vage Kompromisse zwischen Wirtschaftsreformern und jenen Kräften dar, die die Haltung der konservativeren Führer wie Li Peng vertreten.