Im Lager ist Saddam immer noch ein Held

Die Stimmung unter den palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien ist niedergeschlagen/ „Eines Tages wird Saddam Hussein zurückschlagen, und mit ihm alle Araber und Moslems“/ Von einer kurdischen „Intifada“ wollen sie nichts wissen  ■ Aus Amman Klaus Kurzweil

Über dem Palästinenserlager Hatin, in einem Außenbezirk der jordanischen Hauptstadt Amman, flattern schwarze Fahnen. Die Bewohner trauern um die im Golfkrieg getöteten Iraker.

Das Lager Hatin entstand während des israelisch-arabischen Krieges 1967, als Hunderttausende von Palästinensern vor der israelischen Armee aus der Westbank und dem Gaza-Streifen nach Jordanien flüchteten. Bis heute wirkt es provisorisch: Wellblechdächer auf den Häusern, oft nur von schweren Steinen gehalten. Ein Großteil der hier lebenden Flüchtlinge betrachtet das Lager nicht als ihren endgültigen Aufenthaltsort. Sie wollen zurück nach Palästina.

Ismail, Anfang 20, ist im Lager geboren. An den Fenstern seines Friseurladens klebt neben dem Bild des jordanischen Königs Hussein ein Plakat mit dem Porträt Saddam Husseins und ein Bild des irakischen Wappenadlers, dessen Gefieder zum Victory-Zeichen gespreizt ist. „Das Bild Saddams wird dort immer hängen bleiben“, sagt er, „Saddam ist ein Held, den alle Palästinenser hier lieben.“

Daß der irakische Herrscher den Golfkrieg verloren hat, akzeptiert Ismail nicht: „Der Irak hat fast zwei Monate gegen eine unglaubliche Übermacht standgehalten, und er ist immer noch nicht geschlagen.“ Alles andere hält Ismail für Propaganda: „Die westlichen Medien haben Saddam vor dem Krieg einen neuen Hitler genannt, das war gelogen. Am zweiten Tag des Krieges behaupteten sie, die Hälfte des irakischen Militärs und alle Scud-Raketen seien zerstört, auch das war gelogen. Ich glaube den westlichen Medien kein Wort mehr, sie betreiben psychologische Kriegführung. Saddam hat noch immer Waffen. Eines Tages wird er zurückschlagen, und mit ihm alle richtigen Araber, alle Moslems und vielleicht auch die gesamte Dritte Welt!“

Trotz seiner Niederlage ist Saddam Hussein für viele Palästinenser in Jordanien immer noch ein Held. Sein Porträt wird weiterhin als Poster auf den Straßen von Amman verkauft. Ausverkauft sind allerdings die Anstecknadeln mit Scud-Raketen — die meisten sollen Journalisten als Souvenir mitgenommen haben.

Mit Ablehnung reagieren viele Palästinenser auf den Bürgerkrieg im Irak und besonders auf den Aufstand der Kurden im Norden des Landes. Daß die Kurden ihren Aufstand „Intifada“ nennen — was nicht mehr als „Aufstand“ heißt —, stößt auf Empörung. Ismail glaubt, daß die Aufständischen im Irak in Wirklichkeit eingeschleuste Iraner, Türken und Syrer seien, die den Irak von innen zerstören sollen.

Abu Baschar, ein Metzger im Lager Hatin, erklärt die palästinensische Ablehnung gegenüber den Kurden so: „Die Kurdenführer Barzani und Talabani unterhalten seit Jahren Beziehungen zu Israel und den USA, wie sollen wir sie da unterstützen?“

Abu Baschar floh 1948 vor den Israelis nach Jericho auf der Westbank. Von dort mußte er 1967 erneut flüchten, ins Lager Hatin. Er hat die Niederlage Saddam Husseins schweren Herzens akzeptiert. Die proirakische Position vieler Palästinenser hält er im nachhinein für einen nicht wiedergutzumachenden Fehler: „Wir haben uns eingebildet, die Iraker unterstützen zu können. Aber wie sollten wir das tun? Wir sind selber Flüchtlinge, die kein Geld und keine Waffen haben. Wir konnten den Irak nur politisch unterstützen, und das war Unsinn, weil uns jetzt keiner mehr unterstützt. Die Palästinenser sollten sich nicht an einen Staat halten, sondern an alle Kräfte, die die palästinensische Sache unterstützen können, also auch an Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien. Aber jetzt bekommen wir auch von diesen Staaten keine Hilfe mehr.“

Für die Zukunft der Palästinenser sieht Abu Baschar nur schwarz: „Die Palästinenser sind jetzt in einer Position, in der sie keine Forderungen stellen können. Sie müssen annehmen, was ihnen angeboten wird. Die Amerikaner sagen jetzt, sie wollen Frieden in der Region, aber ich fürchte, das wird der Frieden Jizchak Schamirs sein — und das bedeutet, daß es nur ein zeitweiliger Frieden sein wird, der hält bis zum nächsten Saddam.“