Die Kurden kämpfen weiter

■ Peschmerga kontrollieren noch drei Viertel Kurdistans/ Die Idee einer Schutzzone wird begrüßt

Der irakische UN-Botschafter Abdul Amir Anbari war empört. Die Überlegungen des britischen Premiers Major, im Norden des Landes einen „sicheren Hafen“ für die kurdischen Flüchtlinge einzurichten, bezeichnete er am Montag als eine „wilde Idee“. „Der ganze Irak ist für jeden ein sicherer Hafen“, behauptete er, während die Bilder von mit Phosphor oder Napalm verletzten Flüchtlinge um die Welt gingen.

Vor dem Hintergrund des Massenexodus wurde der Vorschlag einer Schutzzone von kurdischen Politikern positiv aufgenommen. „Das war eigentlich unsere Idee“, sagte Kemal Fuad von der Patriotischen Union Kurdistans gegenüber der taz. „Wir begrüßen die Einrichtung einer Schutzzone im Irak. Dann brauchen die Kurden das Land nicht zu verlassen. Sie ist aber nur realisierbar, wenn sie unter dem Schutz der UNO steht.“ Das wichtigste sei jetzt, den Vernichtungskrieg gegen die Kurden zu beenden.

Obwohl die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer, eigenen Angaben zufolge noch drei Viertel Irakisch- Kurdistans kontrollieren, sind sie mit der beispiellosen Fluchtbewegung völlig überfordert. Die Truppen Saddam Husseins haben bislang nur die großen kurdischen Städte mit jeweils mehreren Hunderttausend Einwohnern zurückerobert, von denen zudem zwei, nämlich Kirkuk und Arbil, an der Grenze zum Flachland liegen und schwer zu verteidigen sind. In Kirkuk, der ersten Stadt, die wieder unter der Kontrolle des Regimes steht, haben die Soldaten kurdischen Quellen zufolge Menschen in den Straßen umgebracht, ganz gleich, ob sie zu den Peschmergas zählten oder nicht. Berichte über diese Bluttaten hätten die Flüchtlingswelle ausgelöst; wenn Saddam Husseins Truppen weniger brutal aufgetreten wären, hätte der Exodus das heutige Ausmaß niemals erreicht.

Es ist nicht nur der Umfang der Fluchtbewegung, der jetzt besondere Probleme hervorbringt. Mit Ausnahme Halabjas, wo es 1988 den berüchtigten Giftgasangriff gegeben hat, mußte in der Vergangenheit eher die bäuerliche Bevölkerung im Zuge von Kämpfen ihre Dörfer verlassen; besser als die Städter sind sie in der Lage, sich in den unwegsamen Gebirgsregionen zu bewegen. Außerdem fand die Fluchtbewegung bislang vorwiegend in Kurdistan selbst statt. Die Menschen flohen in nahegelegene Ortschaften oder benachbarte Regionen, wo sie in Moscheen vorübergehend Unterkunft fanden. Erschwerend kommt hinzu, daß im Zuge der Zwangsumsiedlungen rund 5.000 Dörfer in Kurdistan zerstört worden sind, und diese Alternative schlichtweg nicht mehr besteht. So gab es früher zum Beispiel zwischen der Stadt Suleimaniya und der iranischen Grenze rund 400 Dörfer, die allesamt von der Bildfläche verschwunden sind.

An diesem Grenzabschnitt scheint die Lage besonders dramatisch zu sein. Da der Übergang selbst durch Fahrzeuge und Menschenmassen völlig verstopft ist, stauen sich in einem dahintergelegenen Tal rund 400.000 Fliehende, ohne daß ihnen irgendeine Hilfe zukommt.

In dem befreiten Teil Irakisch- Kurdistans, der kurdischen Angaben zufolge ein größeres Gebiet als jemals in der Vergangenheit umfaßt, geht unterdessen entgegen offiziellen Statements aus Bagdad der Bürgerkrieg weiter. Mehrere mittelgroße Städte mit 50.000 bis 70.000 Einwohnern sind nach wie vor in kurdischer Hand. Für das Regime kommt erschwerend hinzu, daß die von ihm aufgestellte kurdische Miliz nicht mehr existiert. Ihre Angehörigen sind mit fliegenden Fahnen zu den Aufständischen übergelaufen. Nachts kommt es selbst in den großen Städten (wie im übrigen auch im Süden des Landes) immer wieder zu Guerilla-Angriffen.

Das humanitäre Problem, dem sich die kurdischen Organisationen jetzt ausgesetzt sehen, könnte in der Tat durch die Einrichtung von Schutzzonen gemildert werden. Langfristig können sich daraus jedoch neue Probleme und Bedrohungen ergeben: Die Abhängigkeit der Flüchtlinge von internationalen Hilfsorganisationen und die Arabisierung der großen Städte durch eine entsprechende Umsiedlungspolitik des Regimes. Beate Seel