Enklaven für die Kurden

■ Mit Ausnahme des Irak sind alle von der Idee begeistert: Schutzzonen für kurdische Flüchtlinge im Norden des Landes. Nachdem Özal und Bush solche Enklaven angeregt hatten, stimmte die EG einem entsprechenden...

Enklaven für die Kurden Mit Ausnahme des Irak sind alle von der Idee begeistert: Schutzzonen für kurdische Flüchtlinge im Norden des Landes. Nachdem Özal und Bush solche Enklaven angeregt hatten, stimmte die EG einem entsprechenden Vorschlag zu. Sollte sich die UNO dem anschließen, kann mit Protesten aus Ländern der Dritten Welt gerechnet werden. Sie fürchten um den Verlust ihrer Souveränität.

Rauschender Applaus brandete am Ende der Gala-Aufführung durch das Luxemburger Schloß. Denn statt wie bei den üblichen Gipfelshows mit öden Sonntagsreden aufzuwarten, hatten sich die zwölf Staats- und Regierungschefs dieses Mal eine Überraschung ausgedacht. Besonders nach der in den vergangenen Monaten ausführlich zur Schau gestellten Orientierungslosigkeit in Sachen Golf kam die EG-Initiative nun völlig unerwartet. Die Dramaturgie zur Bloßstellung US-amerikanischer Doppelzüngigkeit stammt vom britischen Kriegshelden John Major.

Weltruhm ist ihm nun sicher, auch wenn er für den Exodus der Kurden mitverantwortlich ist. Schließlich hatte auch er die irakische Opposition zumindest indirekt zum Aufstand gegen Saddam Hussein aufgefordert, aber nichts zu ihrer Unterstützung unternommen. Die blutverklebten Lorbeeren wird sich Major mit dem türkischen Regierungschef Özal teilen müssen. Dieser hatte den Vorschlag, den die EG-Chefs am Montag abend guthießen, erstmals am Sonntag lanciert: Danach sollen von der UNO kontrollierte Sicherheitszonen im nördlichen Irak an der türkischen Grenze eingerichtet werden, um die von Saddams Truppen verfolgten Kurden zu schützen. In diesen „sicheren Häfen“ soll zunächst Nothilfe angeboten werden. Anschließend könnten die Flüchtlinge dorthin heimkehren.

Major deutete an, daß die Sicherheitszonen langfristig auch auf die wichtigsten kurdischen Städte ausgedehnt werden könnten. Dieser weitergehende Vorschlag hat allerdings wenig Chancen, im UN-Sicherheitsrat akzeptiert zu werden. Schließlich würde dann praktisch das gesamte kurdische Gebiet im Irak der UN- Hoheit unterstellt werden, was gleich ein mehrfacher Präzedenzfall wäre: Damit würde zum einen gegen die Grundregel des Völkerrechts verstoßen, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheit eines Staates verbietet.

Major betonte, es handele sich keinesfalls um eine Teilung Iraks, sondern um eine zeitlich begrenzte Aktion zum Schutz der Kurden. „Ich weiß, daß es sich womöglich um eine langfristige Verpflichtung handelt. Aber solange wir nicht Saddam Hussein loswerden können, sollten wir wenigstens versuchen, die gefährdetsten Teile der irakischen Bevölkerung zu schützen.“

Notfalls auch mit Waffengewalt? Dies hält Major für unwahrscheinlich. „Ich würde Saddam Hussein nicht raten, die von der UNO kontrollierten Sicherheitszonen anzugreifen.“

Trotzdem zeigt er sich wie seine Kollegen Mitterrand aus Frankreich und Santer aus Luxemburg bereit, eine entsprechende UN-Resolution auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Da die anderen Ratsmitglieder nicht so kriegerisch gestimmt sind, soll sich über die Einzelheiten, wie die Zonen eingerichtet und geschützt werden können, erst einmal der UN-Sicherheitsrat Gedanken machen. Der vorläufige Plan sieht vor, zivile Verwaltungsfachleute in die Sicherheitszonen zu entsenden, die von UN-Friedenstruppen begleitet werden.

Gleichzeitig beschlossen die EG- Chefs, den kurdischen Flüchtlingen mit einer Soforthilfe in Höhe von mehr als 300 Millionen Mark aus der Klemme zu helfen. 200 Millionen DM sollen davon aus dem EG-Haushalt kommen und 100 Millionen DM von den Mitgliedsstaaten. Die Bundesrepublik muß zu dem Gesamtpaket 84 Millionen Mark beisteuern.

Weiterhin kam man überein, die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak aufrechtzuerhalten. Außerdem sollen „als Grundlage für eine künftige stabile Friedensordnung im Nahen Osten“ die Rüstungsexporte in die Region kontrolliert werden. Hier wird ein UN-Register für Waffenexporte befürwortet.

Parallel zur Gipfelkonferenz trafen sich erstmalig auch die Außenminister der Westeuropäischen Union (WEU). Sie nahmen damit vorweg, was im Rahmen der politischen Union erst noch beschlossen werden soll: die Unterstellung der WEU unter das Kommando des Europäischen Rates, wie sich die zwölf Staats- und Regierungschefs bei ihren Gipfeltreffen nennen. Die WEU, der alle EG-Staaten außer Irland, Dänemark und Griechenland angehören, soll den Transport der für die Kurden bestimmten Hilfsgüter der EG koordinieren. Michael Bullard

Was sagt das Völkerrecht?

Für die Einrichtung einer „Enklave“ oder Schutzzone für die verfolgten Kurden im Irak gibt es zwar keine Präzedenzfälle, durchaus aber völkerrechtliche Bestimmungen, mit denen sich eine solche Maßnahme begründen ließe. Im 1. Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949 ist die Einrichtung „entmilitarisierter Zonen“ zum Schutze der Zivilbevölkerung bei bewaffneten Konflikten vorgesehen (Artikel 60). Hierzu bedarf es einer Vereinbarung direkt zwischen den Konfliktparteien oder per Vermittlung einer dritten unparteiischen „Schutzmacht“ oder einer humanitären Organisation. Zwar beziehen sich die Genfer Konventionen zunächst ausschließlich auf Kriege zwischen Staaten. In Artikel 1, Absatz 4 des 1. Zusatzprotokolls heißt es allerdings, daß zu den „Situationen“, auf die diese völkerrechtlichen Bestimmungen Anwendung finden, auch „bewaffnete Konflikte gehören, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes in Ausübung ihres Rechtes auf Selbstbestimmung kämpfen“. Diese Formulierung fand in der Vergangenheit vor allem auf die Befreiungskriege der ehemaligen Kolonialvölker gegen ihre Kolonisateure Anwendung. Noch eindeutiger ist das 2. Zusatzprotokoll. Es erweitert die Gültigkeit der Genfer Konventionen auf die bewaffneten Konflikte, die „im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen den Regierungsstreitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden“. Für die Einrichtung einer Schutzzone bedarf es allerdings der Zustimmung Bagdads. Ein innerer Unruhefaktor für das Regime in Bagdad wäre stillgelegt, und für die Versorgung der Kurden mit Nahrung, Medikamenten und Infrastruktur wären künftig die UNO und ihre humanitären Organisationen zuständig. Andreas Zumach, Genf