»Berlin muß Zeichen setzen«

■ Ristock fordert Aufnahme und Behandlung kurdischer Giftgasopfer

Darüber, was die Stadt Berlin zur Unterstützung der Kurden im Irak tun kann und tun sollte, sprach die taz mit dem SPD-Politiker Harry Ristock. Im Unterschied zu manch anderem Politiker, auch seiner eigenen Partei, hat Ristock auch schon vor Jahren immer wieder auf das Schicksal der Kurden hingewiesen.

taz: Was kann die Stadt Berlin, was kann der Senat tun, um den Kurden zu helfen?

Ristock: Das Schlimme ist: Obwohl Berlin natürlich zum Wohlstandsgebiet des Nordens zählt, ist es momentan aufgrund der finanzpolitischen Entscheidungen in Bonn enorm eingeschränkt. Trotzdem: Hier muß ein Zeichen gesetzt werden, indem Berlin zum Beispiel vom Giftgas betroffene Kinder aufnimmt, sie medizinisch behandelt und betreut. Das stünde Berlin gut an, vor allem, wenn man daran denkt, wieviel internationale Hilfe der Westteil dieser Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren hat.

In der Diskussion, wie den Kurden zu helfen ist, scheiden sich die Geister an der Frage, ob man sich in die Angelegenheiten des Irak einmischen soll oder nicht. Wie weit müßte die UNO in der Sache der Kurden gehen?

Die Vereinten Nationen werden allgemein eine größere Rolle spielen müssen, und sie müssen auch — mit Zustimmung einer großen Mehrheit — in solche innere Konflikte eingreifen dürfen. Bei solch mörderischen Regimen, die derart die Menschenrechte verletzen, muß die UNO mit einer Blauhelmtruppe die Möglichkeit erhalten, zu intervenieren, um Mörder daran zu hindern, weiter zu morden. Ich weiß natürlich, daß das vorerst noch Zukunftsmusik ist. Vielleicht sind wir im Jahre 2020 soweit. Und noch ein Wort zu den Medien. Wenn hier, auch von großen, deutschen Zeitungen, im Falle der Kurden plötzlich von Nichteinmischung gepredigt wird, nachdem man im Falle Kuwaits alles in Ordnung fand, dann finde ich das einfach zum Kotzen.

Sollen unter den Blauhelmen der Vereinten Nationen auch deutsche Köpfe stecken?

Das ist überhaupt keine Frage. Natürlich sollten auch Deutsche beteiligt sein.

Was muß jetzt sofort geschehen, um die Kurden zu unterstützen?

Ich unterstütze fast alles, was zur Zeit an Maßnahmen diskutiert wird — auch den Vorschlag einer Schutzzone. Der Plan der Amerikaner, aus der Luft Lebensmittel abzuwerfen, ist nach meiner Ansicht völlig unzureichend. Ich bin der Meinung: Wenn ein Golfkrieg zur Vertreibung Saddam Husseins aus Kuwait 53 Milliarden Mark kostet, dann müssen die Industrieländer zur Rettung und Unterstützung der Kurden mindestens zehn Milliarden Dollar aufbringen. Dort soll man dann eine Infrastruktur aufbauen — anstatt Lebensmittel aus Flugzeugen abzuwerfen. Ich weiß, daß ein solches Lebensmittelpaket für ein kurdisches Kind das Überleben bedeuten kann. Aber im Vergleich zu dem logistischen Aufwand, den man für den Krieg betrieben hat, ist das einfach lächerlich.

Westdeutsche Firmen haben Rüstungsgüter und Produktionsmittel für Giftgas an den Irak geliefert, der ostdeutsche Staatssicherheitsdienst hat die irakische Geheimpolizei ausgebildet. Gibt es da nicht eine gesamtdeutsche Verantwortung, den Kurden zu helfen?

Das ist keine Frage. Diese Konzerne müßten jetzt durch öffentlich- moralischen Druck gezwungen werden, finanzielle Abgaben für die Kurden zu entrichten. All diese Mittäter, die sollen jetzt zahlen. Interview: Andrea Böhm