piwik no script img

Feindbild Muselmann, jetzt auch im Kino

Gegen Betty Mahmoodys „Nicht ohne meine Kinder“, jetzt auch als Film, gibt es erstaunlicherweise kaum linke Kritik.  ■ Von Sonia Seddighi

Mit Chomeinis Aufruf zum Mord an Salman Rushdie begann eine neue Ära der Beziehungen zwischen dem Abendland und Morgenland. Politiker, Journalisten, Intellektuelle nahmen den Aufruf zum Anlaß, um zwischen den beiden Welten neue Grenzen zu ziehen und Dämme zu errichten. Viele stiegen im Namen der westlich-christlichen Kultur und Zivilisation auf die Barrikaden, sie forderten, es müsse der islamischen Gefahr, der islamischen Barbarei endlich Einhalt geboten werden. Der Mordaufruf war barbarisch und die, die ihn verurteilten, waren im Recht. Unzulässig war die Übertragung von Chomeinis Position auf die gesamte islamische Welt. Würde man die Barbarei der Herrscher auf die Völker übertragen, kämen dabei manche Völker Europas auch nicht besser weg als Iraner oder Araber, einschließlich der Ostdeutschen zur Zeit des Nationalsozialismus.

Der Fall Rushdie leitet einen Prozeß der Stimmungsmache ein, der bis zum heutigen Tag fortdauert und der ein neues Feindbild konstruiert. Ängste werden gegen Araber und andere Muslims erzeugt, Haßgefühle geweckt.

Zur Vorbereitung des Golfkrieges verstärkte sich die Stimmungsmache. Jeder aufmerksame Beobachter der Golfkrise wird bestätigen, daß die massiven Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak ohne eine psychologische Vorbereitung der Öffentlichkeit im Westen, wozu auch falsche Informationen gehörten, nicht möglich gewesen wären. Wie hätte man es sonst hier im Westen hinnehmen können, daß Tag für Tag und Nacht für Nacht Abertausende Iraker sterben mußten, wenn man nicht, zumindest im Unterbewußtsein, das Gefühl gehabt hätte, hier werde eine aufgeputschte, fanatisierte, wilde Horde unschädlich gemacht. Wie sonst hätte die Zerstörung Iraks dieselben Menschen so kalt lassen können, die sich wenige Monate zuvor so sehr für die Hungernden in der Sowjetunion engagiert hatten. Das Argument, der Aggressor und Verbrecher Saddam Hussein müsse um jeden Preis bestraft werden, konnte doch nur plausibel erscheinen, weil es der Propaganda zuvor gelungen war, den berechtigten Haß auf Saddam Hussein auch auf die irakische Bevölkerung zu übertragen.

Als die Kampfhandlungen im Golfkrieg eingestellt wurden, atmeten viele auf, alles in allem sei der Krieg glimpflich abgelaufen. Für Amerikaner, Franzosen, Briten sehr wohl. Daß aber der Krieg „da unten“ zwei zerstörte Länder und einige Hunderttausend toter Araber hinterlassen hat, fiel kaum ins Gewicht. Ohne die psychologische Vorbereitung wäre diese Haltung undenkbar, auch die Äußerung des amerikanischen Generals Schwarzkopf, der unverblümt sein Bedauern zum Ausdruck brachte, daß die Angriffe nicht bis zu völligen Vernichtung der irakischen Gegenwehr fortgesetzt worden seien.

Daß die psychologische Kriegsführung ihre Wirkung erzielt hat, spüren nicht zuletzt die im Westen lebenden Muslims. Inzwischen sitzt das Bild, das von Arabern, Iranern, Muslims der Öffentlichkeit durch die Medien suggeriert worden ist, in den Köpfen fest. Die Orientalen sind finstere, unberechenbare, unzivilisierte Gestalten, sie sind zu allem fähig, auch zu Terrorakten, sie verprügeln und mißhandeln ihre Frauen und ihre Kinder. Daß auch im Westen Terroristen existieren, daß es auch hier zuhauf Männer gibt, die ihre Frauen und Kinder mißhandeln, wird in diesem Zusammenhang völlig übersehen.

Damit solche Bilder und Vorstellungen in den Köpfen der Westler entstehen, reichen politische Diffamierungskampagnen nicht aus. Wirksamere Ergebnisse erzielt die Propaganda auf kultureller, literarischer und künstlerischer Ebene. Nicht umsonst ist in den letzten Jahren ein Wust von Schriften und Filmen über die islamische Welt entstanden. Zeitungen und Zeischriften mit Millionenauflage erzählen Horrorgeschichten aus dem Orient. Wieviele Bücher sind allein in den letzten Jahren über die Unterdrückung der Frauen, über Kindesentführungen, über Mischehen von Muslims und Europäern geschrieben worden! So tragisch auch die erzählten Fälle sein mögen, sie liefern Pauschalurteile.

Zum Beispiel Betty Mahmoodys Buch Nicht ohne meine Tochter. Das Buch macht seit längerer Zeit Furore, nicht nur in Deutschland. Millionen Europäer und Amerikaner haben es bereits gelesen. Inzwischen ist das Buch auch verfilmt worden.

Bei der Geschichte der Amerikanerin, die mit ihrer Tochter aus dem Iran und vor ihrem iranischen Mann flüchtet, geht es Betty Mahmoody aber nicht wie vielen anderen Autorinnen allein um die Schilderung ihres Einzelschicksals. Sie hat auch Botschaften zu verkünden. Sie beschreibt die Eindrücke, die sie während ihres unfreiwilligen Aufenthaltes im Iran gewinnt. Bemerkenswert bei dieser Beschreibung ist jedoch nicht nur das äußerst negative Urteil, zu dem sie bei ihren Beobachtungen gelangt, ein Urteil, das allzu leichtfertig jene vorgefaßten Meinungen von Orient und den Orientalen bestätigt. Wichtig scheint mir noch mehr die Art und Weise zu sein, in der die Amerikanerin einer fremden Welt begegnet und dabei auf jegliche Reflexionen auch über die eigene Kultur verzichtet. Das Unbekannte erscheint ihr sogleich als etwas Fremdes, Unannehmbares. Und was fremd ist, ist unzivilisiert. Die Reise in den Iran ist für Betty Mahmoody ein Gang durch die Hölle. Fast auf jeder Seite ihres Buches bittet sie Gott um Beistand und mit ihm ihre Leser.

Wer, vor allem welche Frau, könnte ihr die Solidarität verweigern? Doch mit dieser Solidarität verlangt sie auch die Übernahme der Urteile. Wer von ihren Lesern und Leserinnen hat schon Kenntnis über die Verhältnisse im Iran, wer bemerkt die Widersprüche, in denen sie sich verstrickt, wer kann Lüge von Wahrheit unterscheiden?

Mahmoodys Aussagen fallen offenbar auf fruchtbaren Boden. Das Buch hat inzwischen Millionen Leser und Leserinnen gefunden. Hier gewinnt Mahmoodys tragisches Schicksal eine politische Dimension. Die Leser sind keineswegs unvoreingenommen, sie besitzen bereits eine, wenn auch zumeist irrige Vorstellung vom Orient, von Iranern, Arabern, Muslims. Schriften wie die Mahmoodys bestätigen die Pauschalisierungen, sie schüren Ängste vor dem sogenannten islamischen Fundamentalismus, vor fanatisierten, irrational handelnden Orientalen, vor der erwarteten Flut von Flüchtlingen, vor Terroranschlägen, sie vertiefen den Graben zwischen der westlichen und östlichen Kultur. Wichtig wäre natürlich auch die Frage, wie diejenigen, die auf der anderen Seite des Grabens stehen, mit diesen Diffamierungen umgehen, zum Beispiel die rund zwanzig Millionen Muslims, die in Westeuropa leben. Sie werden ständig angegriffen, ohne sich wehren zu können. Stauen die fortwährenden Beleidigungen und Erniedrigungen auch nicht bei ihnen Haß- und Rachegefühle? Wie lange wird man damit rechnen können, daß diese Menschen geduldig schweigen?

Es gab einmal in diesem Land eine Minderheit, die sich dem Unrecht widersetzte. Wo sind sie geblieben, die einst fortschrittlichen Linken?

Eine Filmkritik folgt in der nächsten Woche.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen