Aufklärung mit dem Maulkorb

Vor hundert Jahren wurde Bretonisch in Frankreich einfach verboten  ■ Von Bettina Kaps

Yannig Baron hat die Schnauze voll. „Seit meiner Jugend kämpfe ich um das Überleben meiner Sprache und Kultur“, sagt der 53jährige Bretone. Da der bürokratische Weg erfolglos blieb, setzte der Vorsitzende der Bretonischen Elternvereinigung „Dremmwel“ (Horizont) im Januar seine letzte Waffe ein und trat in den Hungerstreik. Nach 38tägigem Fasten konnte er Paris endlich ein Zugeständnis abtrotzen: Die französische Zentralregierung genehmigte erstmals die Schulung von Bretonisch- Lehrern; am 2. April konnten zwölf Grundschullehrer mit dieser Zusatzausbildung beginnen. Das sind jedoch viel zu wenige, um die alte Sprache vor dem Aussterben zu schützen.

„Wenn Bretonisch stirbt, dann ist das keine natürliche Entwicklung, sondern Ergebnis einer bewußten Politik zur Zerstörung der regionalen Kulturen“, sagt Yannig Baron. Von den drei Millionen Menschen, die in der Bretagne leben, sprechen heute noch 250.000 Bretonisch; gut doppelt so viele verstehen die keltische Sprache, die eng mit dem Walisischen verwandt ist. Doch es werden immer weniger, die Sprachgrenze verschiebt sich stetig nach Westen. Einer Studie zufolge fordern 77 Prozent der Bretonen den Unterricht ihrer Sprache an den Schulen. Doch bislang haben alle Pariser Regierungen den Wunsch nach kultureller Selbstbestimmung ignoriert. „Eine ähnliche Politik betreiben in Europa nur noch Griechenland und die Türkei“, kritisiert Baron.

Die systematische Zerstörung der Minderheitssprachen in Frankreich begann vor gut 100 Jahren: Bretonisch wurde einfach verboten. Wenn Schulkinder in den Pausen auf bretonisch gehört wurden, mußten sie sich als Zeichen der Schande ein Hufeisen oder einen Holzschuh umhängen. Diese Strategie führte zum Ziel. So mußte Yannig Baron in seiner Kindheit selbst zusehen, wie und wo er die Sprache seiner Vorfahren aufschnappen konnte — zu Hause jedenfalls wurde nur französisch gesprochen. „Meine Eltern waren voller Komplexe. Schließlich hatte man ihnen eingebleut, bretonisch sprächen nur Hinterwäldler.“

Hinter der brutalen jakobinischen Schuloffensive stand eine durchaus positive Absicht: die laizistische Aufklärung. Zuvor hatten nämlich jahrhundertelang genau umgekehrte Verhältnisse geherrscht: Klerus und Grundherren schirmten die bretonische Landbevölkerung gegen das eindringende Französisch ab, da in dieser Sprache aufklärerische und damit aufrührerische Ideen transportiert wurden.

In den fünfziger Jahren konnten die französischen Regionalisten der Zentralregierung einige Gesetze abringen, die den Unterricht der Minderheitssprachen im Prinzip ermöglichen. Doch Papier ist geduldig: Bis heute müssen die Minderheiten dem Bildungsminister jede neue Lehrerstelle abtrotzen.

Neben den Bretonen streiten auch Basken, Okzitanier, Katalanen, Elsässer und Lothringer um ihre Rechte. Paris behandelt die einzelnen Völker nicht gleich. Mit militanten Aktionen konnten sich die Korsen die größten Zugeständnisse erkämpfen: Für die 250.000 Inselbewohner hat der Staat 14 Stellen zum Korsischunterricht an Sekundarschulen eingerichtet; 540 Grundschullehrer werden derzeit in Korsisch ausgebildet. Das gut zehnmal größere bretonische Volk soll sich mit acht Lehrerstellen für Bretonisch an Gymnasien zufriedengeben. „Bomben und Attentate sind erfolgreicher als unser friedlicher Protest“, resümiert Yannig Baron bitter.