DEBATTE
: Der Terror der Wohlmeinenden

■ Zum Anschlag der RAF auf Detlev Karsten Rohwedder

Als die Verhältnisse in der ehemaligen DDR zu tanzen begannen, als sich auf den Straßen des „Arbeiter und Bauernstaates“ der unbändige Wille des Volkes manifestierte, die SED- Stasi-Herrschaft ein für allemal abzuschütteln, da brach für viele Kommunisten der westdeutschen DKP eine Welt zusammen. Langjährige Propagandisten der „realsozialistischen Errungenschaften“ mußten plötzlich mitansehen, wie wenig die bis dahin von ihnen gepriesene SED im Volk tatsächlich gelitten war. Nach dem ersten Erschrecken plagte viele aus der DKP die Frage nach der eigenen Schuld. Immer wieder hatten sie die SED-Politik verteidigt, den Einmarsch der Warschauer- Pakt-Truppen in die CSSR ebenso gerechtfertigt wie die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Warum?

„Konnte oder wollte ich die Wahrheit nicht wissen?“ lautete die selbstgestellte Frage — mit immer der gleichen Antwort: Gekonnt hätte man schon, aber wegen der eigenen ideologischen Verblendung blieben die nicht ins Weltbild passenden Informationen in der Regel ohne jede Wirkung. Fassungslos, mit zitternder Stimme, haben viele einstige DKP-Mitglieder auf zahllosen öffentlichen Treffen von dieser ungeheuren Verdrängung, von diesem jahrelangen Selbstbetrug berichtet. Eine freiwillige Denk- und Diskussionsblockade im Interesse der „großen Sache“, für die es in der Geschichte der Linken zahllose Vorläufer gibt. Hunderttausende westeuropäischer Kommunisten haben den stalinistischen Terror jahrelang als Propagandalüge der kapitalistischen Bourgeoisie abgetan und erst dann ungläubig und mit Entsetzen zur Kenntnis genommen, als die Sowjetführung 1956 selbst den mörderischen Terror eingestand. Wenige Jahre später wiederholten wesentliche Teile der „Neuen Linken“ diesen Prozeß gegenüber den Pol-Pot-„Revolutionären“ in Kambodscha. Noch heute überkommt so manchen ehemaligen KBW-Genossen das schiere Grausen, wenn an den Schulterschluß des KBW mit dem Pol-Pot- Regime erinnert wird. Die unfaßbaren Verbrechen der Pol-Pot-Leute, die ein „neues Kambodscha“ schaffen wollten und dabei fast ein Drittel des kambodschanischen Volkes umbrachten, galten in vielen linken Publikationen jahrelang als üble Propagandalügen des „US-Imperialismus“. Sowohl der Pol-Pot-Terror selbst, als auch die Verdrängung desselben durch die Linken in den Metropolen geschah natürlich in bester Absicht. Die Weigerung zu sehen, was ist, die Entschlossenheit, den Zweifel nicht zuzulassen, gehört zur unseligen Tradition aller linken Formationen, einschließlich der RAF.

Als Kämpfer für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, für eine Zukunft ohne Herrschaft des Menschen über den Menschen, wähnt sich die Linke seit jeher auf der richtigen Seite der Barrikade. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn die eingesetzten Mittel zum Erreichen der besseren Gesellschaft dem Prinzip der Reversibilität unterlägen, politische Irrtümer also korrigiert werden könnten. Während das reformistische linke Konzept solche Korrekturen — wie schwierig sie auch sein mögen — prinzipiell erlaubt, kann der bewaffnete Revolutionär seine Irrtümer nicht ungeschehen machen. Umso überzeugter muß er von seiner Sache sein, um so weniger wird er Zweifel an seinem Tun an sich heranlassen können.

In den Anschlägen der RAF focussiert sich das ganze Elend dieser linken Tradition, offenbart sich die mangelnde Lernfähigkeit aller linken Vereinfacher. Der gezielte Todesschuß von RAF-Mitgliedern hat die politische Klarheit, das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien, die Aufteilung der Menschen in „Schweine“ und „Genossen“ zur Voraussetzung. Nach diesem Muster ist auch die jüngste Erklärung gestrickt, basierend auf der moralischen Überhöhung der eigenen Position. Die RAF, immer auf der Seite der „Erniedrigten und Beleidigten“, kämpft „für ein menschliches Leben in Würde und frei von Herrschaft“. Rohwedder, für die RAF „einer dieser Schreibtischtäter, die tagtäglich über Leichen gehen“, stand offenbar der Verwirklichung dieser hehren RAF-Ziele im Wege. Rohwedder habe sich vor seiner Tätigkeit als Chef der Treuhand als Vorstandsvorsitzender des Hoesch-Konzerns „einen Namen als brutaler Sanierer gemacht“. Er „hat bei Hoesch in wenigen Jahren mehr als 2/3 aller ArbeiterInnen rausgeschmissen und den bankrotten Konzern zu neuen Profitraten geführt“. Ein Satz, der die ganze politische Erbärmlichkeit der RAF illustriert.

Tatsächlich hat Rohwedder bei Hoesch nicht einen einzigen Stahlarbeiter „rausgeschmissen“. Während die RAF sich Mitte der 80er Jahre von der Stasi, die in der DDR gezeigt hat, was sie kann, zum Kampf für „ein menschliches Leben in Würde und frei von Herrschaft“ ausbilden ließ, kümmerte sich Rohwedder ganz praktisch um die „Beleidigten und Erniedrigten“ in Dortmund. Mit seinem Sanierungskurs rettete er Hoesch vor der Pleite, sicherte über 10.000 Arbeitsplätze und sorgte in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten, der IG Metall und mit Unterstützung der Bundesregierung dafür, daß niemand entlassen wurde. Stattdessen schieden die älteren Arbeitnehmer Jahr für Jahr über den Sozialplan, der bis zur Rente 90 Prozent des Nettoeinkommens garantierte, frühzeitig aus. So wurde der Belegschaftsabbau geschafft, ohne daß auch nur ein einziger Hoesch-Beschäftigter in die Arbeitslosigkeit entlassen worden wäre. Der damaligen Forderung aus der Gewerkschaft und der linken Betriebsszene, in Dortmund ein neues Stahlwerk zu bauen, hat Rohwedder sich zu Recht widersetzt. An der notwendigen Reduzierung der westdeutschen Stahlkapazitäten führte damals ebensowenig ein Weg vorbei, wie an der Schließung oder Modernisierung vieler Betriebe der ehemaligen DDR heute.

Das dumme Geschwätz einiger Linker vermag daran ebensowenig etwas zu ändern, wie die tödlichen Kugeln der RAF. Säßen in den Chefetagen der ehemaligen Kombinate heute anstelle der Politbürokraten des alten Regimes mehr Manager vom Range Rohwedders, es sähe um die Zukunft der „Erniedrigten und Beleidigten“ in den neuen Ländern wesentlich besser aus. Zaubern können aber auch die intelligentesten Manager nicht. Nur die RAF kann das — auf dem Papier. Ansonsten gilt, daß derjenige, der Produkte anbietet, für die kein Mensch den geforderten Preis zu zahlen bereit ist, auf seinen Produkten sitzen bleibt und pleite geht — es sei denn, es findet sich jemand, der den Betrieb alimentiert. Daß eine solche Alimentation nur für einige Bereiche und nur vorübergehend von der Gesamtgesellschaft durchgehalten werden kann, weiß auch der dümmste RAF- Kämpfer. Nur: Diese Erkenntnis paßt nicht ins Konzept. Der Ausweg der RAF, bei Geldknappheit mal eben eine Bank zu überfallen, steht den Nationalstaaten prinzipiell zwar auch zur Verfügung — Irak hat das in Kuweit ja soeben vorgeführt —, aber den linken emanzipatorischen Kräften in Deutschland dürfte eine Politik, die darauf baut, daß im eigenen Land eher weniger verfrühstückt wird als die Gesellschaft insgesamt erarbeitet, wohl besser zu Gesicht stehen.

Der Kapitalismus ist sicher nicht das Ende der Geschichte. Aber ein Blick über die Grenzen hinweg zeigt, daß ein revolutionärer Sieg im Sinne Lenins für die „Erniedrigten und Beleidigten“ auch nicht im Paradies endet. Für Lenin war im Streit mit dem „Renegaten“ Kautsky 1918 klar, „daß das Proletariat nicht siegen kann, ohne den Widerstand der Bourgeoisie gebrochen zu haben, ohne seine Gegner gewaltsam niedergerungen zu haben“. Heute, gut siebzig Jahre später, droht der Sowjetunion nach Jahren der vorsichtigen Demokratisierung der Rückfall in die Despotie. Die anderen siegreichen Revolutionäre haben auf dem Pekinger „Platz des Himmlischen Friedens“ vorgemacht, was sie unter revolutionärer Würde und Demokratie verstehen. Die Logik der RAF führt genau zu diesem blutbefleckten Platz. Solange weder eine theoretisch konsistente, geschweige denn praktische Alternative zur liberal- demokratischen Ordnung zur Verfügung steht, kann es für die Linke in den westlichen Ländern nur darum gehen, für die sozialökologische Reformierung und Zivilisierung des Kapitalismus zu kämpfen. Walter Jakobs