Generalstreik gegen Gorbatschow

■ Streikaufruf in mehreren Städten Weißrußlands befolgt/Massenkundgebungin Minsk/ Föderationsrat verschiebt die Entscheidung über Gorbatschows Krisenplan

Moskau (afp/dpa/taz) — In der weißrussischen Hauptstadt Minsk sind die Beschäftigten der meisten Betriebe einem Aufruf zum Generalstreik gefolgt. Wie der Sprecher des Vereinigten Streikkomitees in Minsk, Alexander Galkewitsch, gegenüber 'dpa‘ telefonisch bestätigte, wurde gestern auch in weiteren Städten der Sowjetrepublik gestreikt.

Nach einer Meldung der unabhängigen sowjetischen Nachrichtenagentur 'Postfaktum‘ hatten „mehr als 50 Betriebe“ in Weißrußland ihre Bereitschaft zu einer Teilnahme am Streik bekundet. In Minsk streiken nach Angaben Galkewitschs „alle Betriebe, bis auf die Unternehmen, die für die Unterhaltung der Lebensfähigkeit der Stadt notwendig sind“.

Auf einer Massenkundgebung in Minsk am Nachmittag sollte über die Dauer der als unbefristeten Generalstreik begonnenen Arbeitsniederlegungen entschieden werden.

Das weißrussische Streikkomitee fordert eine Erhöhung aller Löhne, Renten und Stipendien zum vollständigen Ausgleich der Preiserhöhungen. Es fordert außerdem die Auflösung des Kongresses der Volksdeputierten der UdSSR und den Rücktritt von Präsident Gorbatschow. Des weiteren soll das weißrussische Parlament aufgelöst und bis zum 30. Juli neugewählt werden.

Der sowjetische Föderationsrat ist am Dienstag ohne eine Entscheidung über den von Staatspräsident Michail Gorbatschow vorgelegten Plan zur Bekämpfung der Krise im Land auseinandergegangen. Das erklärte Parlamentspräsident Wiktor Stepanow nach dem Ende der Sitzung. Der Föderationsrat habe beschlossen, daß das sowjetische Kabinett in der kommenden Woche unter Beteiligung der Vertreter der Republiken und Gebiete über den Krisenplan beraten solle. Weiter habe sich das Gremium Bedenkzeit über den Plan ausgebeten. Die Republikparlamente sollen nach den Worten Stepanows über Gorbatschows Vorschlag abstimmen, ein Moratorium für Streiks und Demonstrationen bis zum Ende des Jahres zu verhängen.

Die wichtigsten Punkte des Planes sind außerdem die Beschleunigung der Liberalisierung des Marktes sowie eine Beendigung der Streikwelle, von der vor allem die Kohlebergwerke betroffen sind. In der Einleitung zu dem Dokument wird vor einem starken Produktionsrückgang gewarnt. „Der Produktionsrückgang umfaßt beinahe alle Sektoren, das nationale Einkommen ist im ersten Quartal 1991 um zwölf Prozent im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum zurückgegangen“, heißt es in dem Papier. „Die Finanzen des Landes sind in Unordnung, die Kaufkraft des Rubel sinkt, der Konsumgütermarkt ist desorganisiert, der früher vereinte Wirtschaftsraum zerstückelt.“

Das Dokument sieht unter anderem vor, daß landwirtschaftliche Unternehmen für einen Teil ihrer Lieferungen die Preise mit dem Staat frei aushandeln können. Weiter wird vorgeschlagen, Soldaten bei der Ernte und zur Überwachung des Transports der Güter einzusetzen.

Die Minister bringen auch den Wunsch nach einer schnelleren Privatisierung der Unternehmen zum Ausdruck. Zwei Drittel der kleineren Unternehmen im Dienstleistungsbereich, im Handel, sowie in der kollektiven Essensversorgung sollen in diesem und im kommenden Jahr in den Besitz von Arbeiterkollektiven übergehen. Auch große Teile des Transportsektors sollen in privaten Besitz gelangen. In einer ersten Phase sollen dem Plan zufolge zehn Prozent der staatlichen Unternehmen privatisiert werden.