„Der Krieg hat uns zerstört“

Schwerste Kriegsschäden im Südirak/ Wochenlangen Luftangriffen folgte in Basra Niederwerfung des Schiiten-Aufstands/ Nun brechen Seuchen aus  ■ Aus Basra Khalil Abied

In einem Bett des Tahreer-Krankenhauses in Basra liegt ein Säugling. Er schreit zum Gotterbarmen. „Wir müssen ihm eine Bluttransfusion machen“, sagt der Kinderarzt Dr. Adanan Hassan. „Sein Gewicht ist nicht normal. Zwei Monate ist er jetzt alt und müßte doppelt soviel wiegen. Er leidet an schwerem Durchfall und Erbrechen. Eigentlich müßten wir ihm ein Serum mit Albumin geben. Aber wir haben keines. Statt dessen machen wir Bluttransfusionen. Vielleicht können wir so sein Immunsystem stärken.“

Mehrere Dutzend vollkommen ausgemergelte Kinder liegen mit solchen Symptomen auf der Station. Die Ärzte fürchten, daß sie an Cholera erkrankt sind. „Wir können nicht einmal eine sichere Diagnose stellen“, sagt Dr. Hassan. „Denn auch dazu fehlen uns die Mittel.“

Die Kinder wurden nach wochenlanger Unterernährung ins Krankenhaus gebracht. „Schon seit Wochen konnte ich ihm und seinen Geschwistern nichts anderes geben als Reis“, erzählt mir die Mutter des Säuglings, „und den kann ich kaum bezahlen. Ein Fünfzig-Kilo-Paket kostete früher 12 Dinar, jetzt bezahle ich 350 Dinar dafür.“ Nach offiziellem Wechselkurs sind das fast 1.100 US- Dollar. „Die Stadtverwaltung verteilt keine subventionierten Lebensmittel mehr. Säugen konnte ich den Kleinen auch nicht, denn ich hatte keine Milch mehr. Also mußte ich ihm Reiswasser geben.“

Die Ärzte vermuten, daß verseuchtes Wasser der Hauptgrund für die sich ausbreitenden Durchfallerkrankungen ist. Basras Wasserversorgung ist vollkommen zusammengebrochen. Die Bombardierung der Elektrizitätswerke durch die multinationalen Truppen hat die elektrischen Pumpen lahmgelegt. Seither müssen die Bewohner von Basra Wasser aus dem Schatt-al-Arab- Fluß trinken. Sie verbringen täglich Stunden mit Wasserholen. An beiden Flußufern sah ich Tausende von Menschen, die das grün-graue Wasser in mitgebrachte Gefäße füllten. Die Frauen waschen auch Kleider und Geschirr im Fluß.

„Ja, wir trinken es, und wir kochen damit“, antwortet eines der wasserholenden Mädchen, als ich frage, ob sie das Wasser so trinken. Reines Wasser ist kaum zu bekommen. Auch nicht für die Patienten im Krankenhaus. „Wir bitten die Angehörigen, Wasser mitzubringen — aber woher nehmen?“ Auch für die Ernährung der Patienten kann das Krankenhaus nicht sorgen. Essen müssen die Familien mitbringen. Zudem fehlt es an allen Medikamenten. Lediglich einige Sera konnte das Krankenhaus mit Hilfe von Hilfsorganisationen wieder beschaffen.

„Dieser Krieg hat uns zerstört“, sagt mir eine junge Frau im Gespräch auf dem Markt, „wir haben nichts mehr zu essen. Schau, was sie uns anbieten.“ Neben uns kaufen einige Frauen verschimmelte Tomaten, auf denen Schwärme von Fliegen sitzen. Ohnehin sind die meisten Läden geschlossen. Das Geschäftsleben ist weitgehend lahmgelegt. Von den Gebieten, aus denen Basra seine Agrarprodukte bezog, ist die Stadt abgeschnitten, weil alle Brücken über den Fluß durch die wochenlangen Bombardierungen teilweise oder ganz zerstört wurden.

Die Lage in Basra ist verzweifelter als in den anderen Städten des Südirak, wo es mittlerweile wenigstens für einige Stunden täglich wieder Strom und folglich auch Wasser gibt. In Basra gibt es seit Wochen weder das eine noch das andere. Benzin ist auch auf dem Schwarzmarkt nicht mehr zu haben. Welche Kriegsschäden in der weitgehend zerstörten Stadt auf die Bombenangriffe der multinationalen Truppen zurückzuführen sind und welche auf die Kämpfe zwischen den irakischen Regierungstruppen und den schiitischen Aufständischen zurückgehen, darüber kann man nur spekulieren.

Unter anderem wurden Gebäude zerstört, die ehemals Symbole der Zentralregierung waren: die Polizeistationen, das Geheimdienstzentrum und alle Verwaltungsgebäude. Über manche Zerstörungen gibt es unterschiedliche Versionen, so im Fall der Moschee von Abella: Offiziell heißt es, Rebellen hätten die Moschee zerstört; Bewohner des Viertels hingegen erzählen, daß die irakische Armee mit Panzern und Hubschrauber gegen die in der Moschee verschanzten Rebellen vorging.

Über die Ereignisse der letzten Wochen spricht man gleichwohl nur zögernd. Ein Soldat der Republikanischen Garde berichtet mir, wie er nach Basra kam: „Meine Einheit war in Kuwait stationiert, in Al-Abdali. Während des Rückzuges aus Kuwait wurden wir von den Amerikanern bombardiert. Viele Soldaten starben unterwegs. Als wir in der Nähe von Basra angelangt waren, erfuhren wir, daß die Stadt von den Aufständischen kontrolliert wird. Fünf Tage haben wir gegen sie gekämpft. Dabei sind viele meiner Kameraden umgekommen. Die Rebellen hatten viele Waffen von der Armee erbeutet, und auch die Iraner haben sie mit Waffen und mit Leuten unterstützt. Nur wenige konnten fliehen, als wir die Stadt eingenommen haben. Die meisten haben wir gefangengenommen oder umgebracht, darunter viele Iraner.“

Von einer Beteiligung iranischer Kämpfer an dem Aufstand höre ich in Basra auch von anderen Leuten: Einen Tag nach dem Befehl zum Rückzug aus Kuwait seien plötzlich Rebellen in Basra gewesen, erzählt eine Stadtbewohnerin, darunter viele, die arabisch mit iranischem Akzent gesprochen hätten. Alle, die sie verdächtigten, auf seiten Bagdads zu stehen, hätten sie umgebracht: Soldaten, Offiziere, Mitglieder der Baath- Partei und Geheimdienstleute.

„Die Revolution war unorganisiert“, hält ein Mann dagegen. „Es gab keine Führung. Es war eine spontane Explosion. Alle Leute, die die Regierung hassen, sind auf die Straße gegangen. Waffen bekamen sie aus Lagern der Armee und aus Polizeistationen. Viele Soldaten haben sich dem Aufstand angeschlossen, aber auch viele Gangster, die die Situation ausgenutzt haben, um zu rauben und zu zerstören.“