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Kein Auge für hungerstreikende Kurden

Bonner ignorieren demonstrierende KurdInnen/ In fünf Bundesländern werden türkische KurdInnen nicht abgeschoben, auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde/ Göttinger Rot-Kreuz-Büro besetzt  ■ Aus Bonn Bernd Müllender

Mit den Anwohnern gebe es, sagt Kurdensprecher Mehmet Sahin, „eigentlich überhaupt keine Probleme“. Dies ist die diplomatisch- freundliche Umschreibung für weitgehende Ignoranz und Desinteresse jenes kleinen Teils der Weltöffentlichkeit, der im Bonner Stadtteil „Godesberg-Villenviertel“ wohnt. Hier, vor der UN-Vertretung, befinden sich seit Montag 36 Kurden und Kurdinnen im unbefristeten Hungerstreik, um noch einmal und verstärkt auf das entsetzliche Massaker in ihrer Heimat Kurdistan aufmerksam zu machen.

Es ist augenscheinlich: Die PassantInnen schauen weg, wo sie können, wollen sich nicht stören lassen, nicht aufgerüttelt werden vom „Wüten der Soldateska des Kurden- Schlächters Saddam“ (Flugblatt- Text). Niemand war bereit, den Hungerstreikenden Strom zu geben für ihre kalten Zelte auf dem Bürgersteig, weder Nachbarn noch die Stadt Bonn vom angrenzenden Gelände einer Schule. Auch hierzulande werden die Kurden alleingelassen.

Die Forderungen der Hungerstreikenden gehen über das hinaus, was EG und UNO bislang diskutiert haben. Eine Schutzzone oder Enklave (wie vom britischen Premier Major vorgeschlagen) könne, so Mehmet Sahin, nur ein erster Schritt sein. Die Vereinten Nationen dürfen nicht nur mithelfen, die akute Not zu lindern, sondern müsse „Garantien und Absicherungen zur Rückkehr durchsetzen für eine dauerhafte Lösung der über drei Millionen Flüchtlinge“. Ohne ein Selbstbestimmungsrecht der viertgrößten Nation in der Region werde das Problem politisch nicht gelöst; auch gesicherte Lager, in denen die Flüchtenden mit dem Notwendigsten versorgt werden könnten, würden auf Dauer nur zu Reservaten werden. Zudem müssen, sagt Sahin, die Sanktionen gegen den Irak massiv eingehalten werden. Schwer tun sich die Hungerstreikenden mit der Rolle der USA. Ein Plakat sieht die Vereinigten Staaten „auf dem Weg zum amerikanischen Auschwitz“. Der Aufruf der kurdischen Arbeitervereine Komkar beklagt, dieselben Alliierten, die wegen Kuwait Bomben warfen, „schauen jetzt tatenlos zu“. Auf die Frage, wie allerdings „dieser Doppelmoral endlich ein Ende gesetzt werden“ soll, windet sich Sahin: „Nicht direkt militärisch“ sollten die USA eingreifen, sagt er mehrfach, ohne diese Unlogik näher aufzuschlüsseln. Halbe Bomben kann man schließlich nicht werfen. Und Schwarzkopfs Truppe wieder aufmarschieren zu lassen, will schließlich niemand.

Bestimmt auch nicht die deutsche Friedensbewegung, die den Hungerstreik politisch und organisatorisch durch das Bonner Netzwerk unterstützt. Einige Friedensbewegte wollen sich dem Hungerstreik der Kurden zeitweise anschließen. Vorbereitet wird auch eine bundesweite Demo in Bonn am 20. April, zu der die Komkar und das Netzwerk gemeinsam aufrufen. Bereits am kommenden Samstag findet eine Demo für die Unterstützung der KurdInnen in Frankfurt (Main) statt.

Sechzig Leute haben unterdessen gestern in Göttingen kurzzeitig das Büro des Deutschen Roten Kreuzes besetzt. Sie werfen dem DRK vor, die Kurdistan-Hilfe politisch mit dem deutschen Außenministerium und der türkischen Regierung abzustimmen. Kritisiert wurde auch die Zusammenarbeit mit dem Türkischen Roten Halbmond. Die DRK- Mitarbeiter wollen die Besetzer wegen Hausfriedensbruchs anzeigen.

In fünf Ländern dürfen türkische Kurden bleiben

Bremen (taz) — Nach Bayern und Hessen haben sich jetzt auch die Bundesländer Bremen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen dazu entschlossen, bis auf weiteres türkische Kurden auch dann nicht mehr abzuschieben, wenn ihre Asylanträge rechtskräftig abgelehnt sind. Die Abschiebungen waren bereits zu Beginn des Golfkrieges ausgesetzt worden.

Eine bundeseinheitliche Regelung ist jedoch weiterhin nicht in Sicht. Nach dem neuen Ausländergesetz können einzelne Bundesländer allerdings im Alleingang bis zu sechs Monate auf Abschiebungen rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber verzichten. Bis zum Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes hatte das Land Bremen mit einem eigenen „Kurden-Erlaß“ alle Kurden aus der Türkei, dem Irak, dem Iran und Syrien vor Abschiebungen geschützt. Ase

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