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Schwarze Jugendbanden terrorisieren Südafrikas Townships

■ Als ob der latente Konflikt mit den (weißen) Sicherheitskräften noch nicht reicht, überziehen marodierende Banden die Vorstadtsiedlungen mit Gewalt

Die Bewohner von Nhlapo im Township Katlehong schlugen zu, hackten johlend mit Buschmessern auf Joseph „Hosi“ Khumalo ein. Nachdem sie dann die kopflose Leiche durch die Straßen des Ortsteils geschleppt hatten, setzten sie den Toten schließlich in Brand. „Ich habe die Leute noch nie so fröhlich gesehen, sie standen über der Leiche und sangen“, erzählte ein Augenzeuge. Joseph „Hosi“ Khumalo war bis zu seinem gewaltsamen Tod Chef der Bande „BMX“ in Katlehong — einer Bande, die die Bewohner terrorisiert, ihre Häuser ausraubt und die Frauen vergewaltigt.

„Früher gab es sowas bei uns nicht“, erzählt Jane Selenge in Meadowlands, einem Teil des Townships Soweto. Als ob der Konflikt mit den Sicherheitskräften nicht reichte, machen sich jetzt zunehmend gewalttätige Banden von Jugendlichen in Südafrikas Townships breit. In Soweto terrorisierte lange Zeit „Zebra Force“ die Nachbarschaft.

An Weihnachten überfielen die „Jackrollers“ ein Mädchenwohnheim der Heilsarmee und vergewaltigten die Schülerinnen. Die Polizei kam nicht, obwohl sie unmittelbar nach dem Geschehen telefonisch alarmiert worden war. Da griff die Nachbarschaft zur Selbsthilfe; sie spürte die jugendlichen Bandenmitglieder in einem stillgelegten Abwasserkanal auf und übergab sie den Sicherheitskräften.

In Sebokeng hatte der African National Congress versucht, der „Five Star Gang“ Einhalt zu gebieten. Aber der entsprechende ANC-Funktionär wurde entführt und ermordet. Bei seinem Begräbnis schossen Unbekannte in die Totenwache — 36 Menschen kamen dabei ums Leben. Angeblich hatte der traditionalistische Erzfeind des ANC, die Zulu- Organisation Inkatha, der Five Star Gang Hilfe angeboten — und ein Killerkommando losgeschickt.

Am Wochenende herrscht Krieg

„Freitag abend gehe ich nicht allzu weit weg“, erzählt Willie, ein 19jähriger Comrade — wie die ANC-Jugendlichen genannt werden. Der „Young Lion“ (Junger Löwe), so Nelson Mandelas Bezeichnung der jungen Leute in seiner Organisation, hat schlichtweg Angst: „Am Wochenende herrscht Krieg, dann wird geschossen und gekämpft.“ Im Baragwanath-Krankenhaus am Rand von Soweto, der größten Klinik in Afrika, werden in einer „normalen“ Freitagnacht 60 bis 70 Verletzte mit Schuß- und Stichwunden eingeliefert.

Willie schiebt in Sowetos Stadtteil Tladi mit den Genossen seiner Ortsgruppe Dienst im Selbstverteidigungskomitee. Etwa um sich vor den Sicherheitskräften zu schützen? „Nein, um Tladi vor den Banden zu schützen.“ Die Mitglieder der Ortsgruppe errichten regelrechte Straßensperren. Der Grund: Jugendbanden kurven in gestohlenen Lieferwagen durch Soweto, schnappen sich Mädchen, entführen und vergewaltigen sie. Tladi blieb auf diese Art bisher auch von den „Comtsotsi“ verschont — von Jugendbanden, die sich als ANC-Mitglieder ausgeben, um ihren krummen Geschäften nachzugehen, oder ANC-Gruppen, die ihren Status für krumme Geschäfte nutzen.

Solange nur in den weißen Vierteln „Huisbrak“ gemacht wurde, „war das alles kein Problem“, erzählt die Sozialarbeiterin Jane Selenge. „Huisbrak“ (Einbruch) richtete sich immer gegen den weißen Mann, und der hatte es nicht besser verdient. Janes Tochter, eine Lehrerin, zeigt ihren Elfenbeinring: „Hier in Soweto kostet der 15 Rand, in der Stadt würde er das Doppelte kosten.“ Ähnlich geht es mit Möbeln, Fernsehern, Radios. Per Mundpropaganda erfahren Sowetos Einwohner, wo sie sich einrichten können, ohne die unerschwinglichen Preise im Stadtzentrum von Johannesburg zahlen zu müssen.

„Von etwas muß ich doch leben“, erzählt der 23jährige Christoph aus Phola Park, der in seinem Leben noch nie eine geregelte Arbeit hatte. Für ein bis zwei Rand (1,30 DM) pro Eimer trägt er Wasser von einer Leitung in die „Zozos“ (Wellblechhütten) des Elendsviertels. Manchmal versucht er, sich für 20 Mark am Tag im nahegelegenen Brakenhurst als Gärtner zu verdingen. Aber er ist nicht der einzige, der Arbeit sucht. So bleibt ihm meist nichts anderes, als mit einer Gruppe junger Leute auf Beutezug zu gehen. Die Bande scheut sich vor Hauseinbrüchen in den Weißenvierteln. Christoph: „Die schießen sofort.“ So ist die Gruppe auf „Mugging“, auf Überfälle in der Stadt verfallen. Viel kommt nicht dabei heraus, aber so reicht es wenigstens zum Leben. Sein 32jähriger Bruder, der die kleine Hütte mit ihm teilt, verbrachte bereits einige Jahre wegen Diebstahls im Gefängnis.

42 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Südafrikas sind arbeitslos. Die Schulen funktionieren nicht, durchschnittlich zehn Menschen leben in den vier Räumen eines „Matchbox“-Hauses, aus denen viele Townships bestehen. Allein im letzten Jahr wurden 60.000 Autos gestohlen.

Im Auftrag von weißen Hehlersyndikaten

Oft agieren die Diebe im Auftrag von weißen Hehlersyndikaten. Und solange nur Weiße die Opfer sind, betrachten viele Schwarze Diebstahl als legitim. Aber seit die Banden nicht mehr nur den weißen Mann ausnehmen, wächst in den Townships die Sorge. Jane Selenge: „Ursprünglich ging es oft darum, der Polizei zu zeigen, wer stärker ist.“ So kaprizierten sich junge Leute darauf, teure Autos wie BMWs zu stehlen. Dann warteten sie auf die Polizei und machten sich schließlich in einer wilden Verfolgungjagd davon — meist erfolgreich.

Inzwischen wagen sich Sowetos Bewohner schon nicht mehr an die Tankstellen. Jugendbanden kapern die Fahrzeugen und machen sich einen vergnüglichen Tag mit dem Auto. Kenner der Szene trauen sich nicht mal mehr, an den Ampeln zu halten. Selbst wer bereit ist, sein Fahrzeug widerstandslos herauszugeben, ist seines Lebens nicht sicher: Einige Banden erschießen Autofahrer, nachdem diese die Schlüssel längst herausgegeben haben. Peter Schultz, Vizedirektor des „Südafrikanischen Rats für Alkoholismus und Drogenabhängigkeit“, erklärt sich die zunehmende Gewaltkriminalität so: „In den Townships herrscht eine immense Spannung. Aber nirgends kann diese Spannung abgebaut werden.“

Und wo es weder Justiz noch Gerechtigkeit gibt, wird das Gesetz in die eigenen Hände genommen. Die umstrittenen „Känguruh-Gerichte“ gibt es in allen Teilen von Soweto. Die Strafen können aus Peitschenhieben bestehen aber auch drastischer aussehen: So hatte ein „Tsotsi“, eine bekannte Unterweltfigur in Meadowlands, einen Mann erstochen, der seine gestohlene Stereoanlage zurückverlangte. Die Strafe erfolgte umgehend nach dem Begräbnis des Ermordeten: ANC- Comrades rammten einen gestohlenen Bus frontal in das Matchbox- Haus des Tsotsi. Willi Germund, Johannesburg

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