Hebbel-Theater kritisiert Gutachten

Gegenüber den Vorschlägen eines vom Kultursenator Roloff- Momin in Auftrag gegebenen Gutachtens zur Zukunft der Berliner Theaterlandschaft hat nun auch das Hebbel-Theater Kritik geäußert. Das Gutachten schlägt vor, das Hebbel-Theater den Staatlichen Schauspielbühnen zuzuordnen und die Freie Volksbühne zum »Theater der Nationen« zu machen, mit einer Übertragung des jetzigen Hebbel-Theater-Auftrages. Belegschaft, Theaterleitung und Betriebsrat der Freien Volksbühne protestierten bereits gegen diese Gastspielhaus-Pläne, die mit einer Auflösung des Ensembles verbunden wären (taz berichtete). Das Hebbel-Theater hält zwar das vorgeschlagene »Theater der Nationen« für eine gute Idee und ist davon überzeugt, daß Berlin ein solches Haus braucht. Es hält aber den Ort Freie Volksbühne für ungeeignet, den bisherigen Auftrag des Hebbel- Theaters zu übernehmen.

In einem so großen Haus wie der Volksbühne, meint das Hebbel- Theater, müßte eine mögliche Programmplanung ganz anders aussehen als in dem intimen Hebbel- Theater, das mit seinen sechshundert Plätzen schon jetzt für einen wichtigen Teil des Programmangebots »groß« sei. Vergleichbare Häuser an anderen Orten Europas hätten selten eine so hohe Platzzahl. Im Haus der Freien Volksbühne sei es zwar möglich, wichtige Theaterproduktionen aus aller Welt zu präsentieren, die mit »großen«, bereits durchgesetzten Namen (Brook, Stein, Mnouchkine) verbunden seien (wobei allerdings gerade diese Produktionen den herkömmlichen Theaterraum sprengten). Das Hebbel-Theater habe dagegen bislang versucht, in einem internationalen Verbund gerade die Theaterkünstler nach Berlin zu holen, die neue Wege beschreiben und ein etabliertes Publikum erst gewinnen müßten (Jan Fabre, Wooster Group, Jerome Deschamps u.a.) Dazu gehörten in erster Linie die deutschen und internationalen Tanzkompanien, die bei einem zweiten oder dritten Gastspiel in Berlin eventuell ein großes Haus füllen könnten, zunächst aber vor einem halbleeren Haus spielen müßten. Auch das junge neue Musiktheater habe im Hebbel-Theater mit seinem geeigneten Orchestergraben einen idealen Ort gefunden, ebenso die kleineren theatralischen und experimentellen Zwischenformen und die »junge Avantgarde«.

Die Freie Volksbühne könnte insofern das Hebbel-Theater nur in den wichtigsten Fällen ersetzen. Für einen Repertoire-Betrieb, wie er sich aus der Funktion als Kammertheater der Staatlichen Schauspielbühnen ergeben würde, sei das Hebbel-Theater mit seinen fehlenden Lager- und Abstellräumen darüber hinaus ungeeignet. Das Hebbel-Theater warnt davor, mit voreiligen Festschreibungen einen gerade begonnenen Prozeß der Vertrauensbildung in Gefahr zu bringen, auch im Hinblick auf mögliche Sponsoren, und appelliert an die Kulturpolitiker, mit der Überlegung zu Häusern nicht deren Inhalt, ihr Programm zu übersehen: »Ein ‘Theater der Nationen‚ wäre ein idealer Partner.«

Von ganz anderer Warte hat sich Otfried Laurs Berliner Theaterclub gegen das Gutachten gewandt, da »dieses ohne die Vertreter der Besucher zustande kommt«, und fordert gar einen »runden Tisch«, an dem Berliner Theater, Berliner Presse, Besucherorganisationen, Kulturverwaltung und Kulturpolitiker sitzen sollen. Er weiß auch schon wie oft: alle vierzehn Tage. DoRoh