»Ausprobieren, ob ich kompatibel bin«

■ Die Germanistin Ursula Heukenkamp von der Humboldt-Universität berichtet über ihrer Erfahrungen an der Freien Universität

taz: Frau Heukenkamp, was waren Ihre Beweggründe, an die FU zu gehen, und wie ist es dazu gekommen?

Ursula Heukenkamp: Ich habe im Aufbau-Verlag den jetzigen Dekan des Fachbereichs Germanistik, Herrn Balzer, kennengelernt, der sich ebenso wie ich mit deutscher Nachkriegsliteratur beschäftigt. Ich habe ihn dann zu einer Konferenz von uns im Oktober 1989 eingeladen, und so begannen die Kontakte. Es war ja so, daß es im Überschwang dieses Herbstes 89 zum erstenmal möglich war, Kontakt mit der FU aufzunehmen. Daraus ergab sich dann, daß Balzer und ich zusammen im Sommersemester 90 ein Seminar angeboten haben. Das war sehr hübsch: Ich mit meinen Ostkenntnissen, er mit seinen Westkenntnissen. Ich habe auch Studenten von der HU mitgebracht, so gab es die gleiche Zahl von DDR- und FU-Studenten.

Wie war das Verhältnis der Studenten zueinander?

Jeweils ein Ostler und ein Westler haben sich zusammen ein Thema gesucht, und das klappte mit der Zeit ganz gut. Am Anfang waren unsere sehr schüchtern, aber es wurde dann ein sehr gutes Seminar. Seither werde ich in jedem Semester gefragt, ob ich nicht etwas an der FU machen möchte. Außerdem war ich auch neugierig: Ich wollte auch ausprobieren, ob ich kompatibel bin.

Wie waren Ihre Erfahrungen?

Nun, wenn man das vergleicht mit der Humboldt, dann würde ich sagen: Die DDR-Studenten sind sensibler für bestimmte Problemstellungen, für Fragen des Umbruchs eines Weltbildes, der Verdrängung - all diese Fragen, die sich auch in der Nachkriegszeit gestellt haben. Den Studenten an der FU merkt man an, daß sie aus einem relativ gesicherten Leben kommen. Alles in allem ist der Standard an der FU höher.

Was waren Ihre Erwartungen?

Ich gehörte schon vor der Wende zu den Privilegierten, die manchmal Lesetage in der Westberliner Stabi genossen — das durfte man nur nicht so nennen. Das hieß Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Damals war es so, daß ich mich nicht einmal an die FU getraut habe. Ich hatte unheimliche Berührungsängste. Insofern war die wissenschaftliche Bekanntschaft mit Herrn Balzer ein Glücksfall, sonst hätte ich mich da nie hingetraut. Anfangs war ich sehr unsicher und habe schrecklich gesucht nach dem richtigen Ton, um die Studenten anzusprechen.

Ist der Ton wirklich anders?

Ja. Das liegt bestimmt auch daran, daß ich es von hier gewöhnt bin, daß die Studenten das spannend finden, was ich lehre - vor allem wenn man auch mal Sachen sagte, die nicht erlaubt waren. Da mußte ich mich ziemlich umstellen. Auch wenn ich keinen offenen Widerspruch erhalte, trauen sich die Studenten viel mehr.

Haben Sie den Eindruck, daß sich das jetzt im Osten auch langsam ändert, oder sind die Studenten hier so mit der Umwälzung des gesamten Lebens beschäftigt, daß alles andere auf der Strecke bleibt?

Eher das letztere, obwohl das dem zu widersprechen scheint, was ich eingangs über die Sensibilität gesagt habe. Es gibt jetzt schon wieder einen Hang dazu, bloß nichts mit politisch- gesellschaftlichen Themen zu tun zu haben, bloß sich nicht einmischen. Im Vordergrund steht jetzt vielmehr die Frage, was das Westberliner Prüfungsamt anerkennen wird.

Wie war denn Ihr Verhältnis zu den Kollegen an der FU: Haben Sie das Gefühl, daß Ihnen manche etwas herablassend begegnen, weil sie die DDR-Germanistik vertreten?

Sicherlich gibt es heute Germanisten, die der Meinung sind, daß wir weniger gesagt haben als wir gewußt haben - und das stimmt ja auch. Die Stagnation in den achtziger Jahren hat sich natürlich auch in der wissenschaftlichen Leistung bemerkbar gemacht. Das muß man alles selbstkritisch sagen.

Gab es denn schon Auseinandersetzungen über die unterschiedlichen Traditionen?

Nein, bisher überhaupt nicht.

Auch keine Gespräche, in denen das Problem angeschnitten wurde?

Nein, nein. Es gibt bisher noch keinerlei Versuch, sich darüber zu verständigen, wo man steht.

Aber irgendwann wird das stattfinden müssen - auch in anderen Disziplinen.

Ich weiß nicht, ob es stattfinden wird - es sollte natürlich. Im Moment ist es eher so, daß sich Außenseiter gesucht und gefunden haben. Für uns war es sehr hilfreich, daß die FU- Germanistik immer noch sehr links ist. Eine ganz wichtige Ebene ist übrigens innerhalb der Frauen entstanden: Es gibt an beiden Universitäten Ansätze zu einer feministischen Literaturwissenschaft, und die Frauen haben sich ganz früh zusammengesetzt und wollen jetzt auch gemeinsame Forschungsprojekte machen.

Wie sehen Sie die Perspektive: Wird es langfristig nur noch eine Germanistik in Berlin geben?

Ich würde das für sinnvoll halten, obwohl ich weiß, daß es Pläne gibt, die HU zu einer feschen kleinen Eliteuniversität zu machen und die FU zur »Massenabfütterin«. Dann gibt es ja auch noch die TU-Germanistik. Mir gefallen diese Pläne nicht. Nach einer Übergangszeit wäre es schon sinnvoll, alles zusammenzulegen. Für uns wäre dann die Perspektive, das einzubringen, was wir vielleicht besonders gut können.

Woran denken Sie da?

Zum Beispiel ausnutzen, daß wir hier in ganz ungewöhnlicher Weise in den kulturpolitischen Prozeß eingebunden waren. Deswegen haben wir auch sehr enge Beziehungen zu den Autoren, und von da ergeben sich Ausbildungsstränge zur Gegenwartsliteratur. Interview: Kordula Doerfler