Israels „blühender Wüste“ geht das Wasser aus

Die Zeit der Wunder ist vorbei: Im See Genezareth rinnt Jesus das Wasser unter den Füßen weg/ Die legendäre Landwirtschaft des Wüstenlandes ist auf subventioniertem Wasser gebaut/ Jahrzehntelang haben die Politiker Schindluder mit der knappen Ressource getrieben, nun droht der Wassernotstand  ■ Aus Tel Aviv Hal Wyner

Einem alten Witz zufolge sollen Moses und Jesus einmal im Himmel, über den moralischen Zerfall der Menschheit betrübt, ein Mittel gesucht haben, der Situation abzuhelfen. Ein neues Wunder zum Vorführen fiel ihnen nicht ein, also beschlossen sie, ein altbewährtes zu wiederholen und gemeinsam über den See Genezareth zu wandeln. In Galiläa angelangt, machten sie sich schnurstracks auf den Weg übers Wasser. Aber als Jesus, der aufgrund seiner früheren Erfahrungen die Expedition leitete, sich auf der halben Strecke umdrehte, sah er nur noch den bärtigen Kopf seines Begleiters über Wasser. „Idiot!“ rief der Heiland dem Propheten zu, „auf den Steinen muß man gehen!“

Den Witz kann man heute nicht mehr erzählen. Es fehlt die Pointe. Denn in seinem derzeitigen Zustand sind große Strecken des beliebtesten Taufbeckens der Welt auch ohne göttliche Ratschläge begehbar. Noch nie war der See Genezareth so klein, noch nie der Wasserstand so tief. Auch die spätwinterlichen Regenstürme Ende März helfen nicht weiter. Bis zum Sommeranfang werden sie schon wieder verdampft sein.

Das Schwinden der heiligen Wasser ist nur das sichtbarste Zeichen einer Krise, vor der Experten in Israel seit Jahren warnen und die jetzt endgültig eingetreten ist. Nach drei regenarmen Wintern wird das dieses Jahr im Land zur Verfügung stehende Wasser nur zwei Drittel des Bedarfs decken können. Schon jetzt wird damit gerechnet, daß spätestens zu Sommeranfang das Wasser aus dem Hahn — wenn es überhaupt noch kommt — nur nach vorherigem Abkochen trinkbar sein wird. Sollte die Regierung nicht dramatische Schritte unternehmen, sagen die Hydrologen voraus, wird im kommenden Jahr die ganze Stadt Haifa ohne Wasserversorgung bleiben.

Landwirtschaftsminister Rafael Eitan, der als Zuständiger den politischen Preis für die sich anbahnende Katastrophe zahlen wird, hörte auf die apokalyptischen Prognosen seiner Berater und präsentierte vor einigen Wochen einen Plan: Die Frischwasserquoten für die Landwirtschaft sind um ein Drittel zu reduzieren; die Bewässerung von sämtlichen Parks, öffentlichen und auch privaten Gärten im Land soll gänzlich verboten werden; private Schwimmbecken dürfen dieses Jahr nicht aufgefüllt werden; und auch das Autowaschen mit Wasser aus dem Schlauch — das etwa das Zehnfache der drei Eimer Wasser verbraucht, die sonst dazu benötigt werden — würde nach Vorstellung Eitans ebenfalls strafbar.

Kaum jedoch hatte der Minister gesprochen, mußte er schon angesichts der öffentlichen Proteste seine Bereitschaft ankündigen, den Plan noch einmal zu überdenken. Die Bauern drohten, ihre Forderungen nach Kompensation aus der Staatskasse für die voraussehbaren Einkommensverluste mit Gegenmaßnahmen zu bekräftigen. Jerusalems achtzigjähriger Bürgermeister, die lebende Legende Teddy Kollek, der die Heilige Stadt am Rand der judäischen Wüste im Laufe der vergangenen 25 Jahre mit unzähligen Gärten und Parks in eine grüne Stadt verwandelt hat, machte Beispiel als er offen erklärte, er werde sich schlicht und einfach nicht an die Verordnungen halten. Er sei nicht bereit, einfach zuzusehen, wie die mühsam gepflanzten Grünanlagen die gelbbraune Farbe der umliegenden Landschaft wieder annehmen, erklärte der brummige alte Mann.

Während Minister Eitan weiterhin den „wilden und unverantwortlichen“ Umgang seiner Mitbürger mit den Wasserressourcen beklagt — „wir sind ein Wüstenland und versuchen so zu leben, als ob wir in Europa wären“ — stehen die meisten Israelis auf der Seite Kolleks. Abgesehen davon, daß einige Schwimmbecken dieses Jahr leer bleiben werden, wird keine der anderen „drakonischen Maßnahmen“ des Landwirtschaftsministers von der Bevölkerung befolgt werden, sieht die 'Jerusalem Post‘ voraus. Der Grund: „Die israelische Öffentlichkeit ist noch nicht davon überzeugt, daß es keine Alternative gibt.“

„Wir sind ein Wüstenland und versuchen so zu leben, als ob wir in Europa wären.“

Daß der Ernst der Lage den meisten Israelis noch nicht richtig bewußt geworden ist, liegt nicht zuletzt daran, daß — abgesehen vom Landwirtschaftsminister, der mehr oder weniger alleine steht — auch die Regierung keine Dringlichkeit zu verspüren scheint. Schon zweimal dieses Jahr hat die staatliche Elektrizitätsgesellschaft gedroht — und einmal die Drohung auch wahrgemacht —, der ebenfalls staatlichen Wassergesellschaft den Strom, den sie für die Pumpanlagen benötigt, wegen unbezahlter Rechnungen abzudrehen. Die Wassergesellschaft droht ihrerseits, kein Wasser mehr an Städte zu liefern, die ihre Schulden nicht begleichen. Das Finanzministerium, das immer erst in letzter Minute das notwendige Geld vorstreckt, damit die Strom- oder Wasserversorgung wiederhergestellt beziehungsweise nicht abgebrochen wird, klagt seinerseits, daß es keine 90 Millionen Schekel für die Forschung nach neuen Wasserquellen aufbringen kann. Dabei wurde vor nur einer Woche, als der Etat für 1991 von der Knesset verabschiedet wurde, die gleiche Summe für „Sonderausgaben“ der ultrareligiösen Parteien vorgemerkt. „Das ist auch richtig so“, meinte ein Zuschauer zur Parlamentsdebatte: „Um hier das Wasserproblem zu lösen, wird nur noch Beten helfen.“

Die Scheu der Regierung, Alarm zu schlagen und das Volk mit der unbequemen Tatsache zu konfrontieren, daß das Wasser ausgegangen ist, läßt sich verstehen. Denn die jetzige Krise, zumindest darin sind sich sämtliche Experten einig, ist nicht auf die Tücken der Natur zurückzuführen. Sie wurde von Menschen gemacht.

In einem verheerenden Bericht über die Wasserversorgung im Land, der Anfang Januar veröffentlicht wurde, wirft Israels Finanzkontrolleurin Miriam Ben-Porath den Regierungen der letzten 25 Jahre vor, Schindluder mit dem Wasser getrieben zu haben. Eine „unverantwortliche“ Politik habe dazu geführt, daß „in den Reservoiren des Landes kein Wasser vorhanden ist“, schreibt sie. „Für zukünftige Generationen wurde nicht gespart. Einige der Hauptquellen sind beschädigt, andere auf unnötige Weise gefährdet worden. Die Qualität des Wassers verschlechtert sich ständig. Ein Teil des Schadens ist vielleicht irreparabel.“ Die Warnungen früherer Finanzkontrolleure hätten Landwirtschaftsminister und Wasserkommissare der letzten Jahrzehnte auf „irrtümliche und höchstgefährliche Weise“ ignoriert. „Die jetzige Situation zu verbessern“, resümiert Ben- Porath, „wird ein langwieriger, teurer und schwieriger Prozeß sein.“

Die Wurzel des Übels sehen die meisten Wasser- und Wirtschaftsexperten darin, daß Entscheidungen über die Wasserpolitik hauptsächlich im Landwirtschaftsministerium getroffen werden, das ständig unter dem Druck der Bauern im Land steht. Da von den rund zwei Milliarden Kubikmetern Wasser, die jährlich in Israel verbraucht werden, mehr als 1,2 Milliarden an die Landwirtschaft gehen, gleicht dies einer Situation, in der die Katze auf die Milch aufpasse, lautet die überall wiederholte Kritik.

Und die Katze ist nicht faul gewesen: Bis heute wird das Wasser für die Landwirtschaft hoch subventioniert. Die Bauern bezahlen pro Kubikmeter nach wie vor weniger als die Hälfte dessen, was es die Wassergesellschaft kostet. Der niedrige Wasserpreis, meinen die Gegner dieser Politik, habe die Bauern dazu verleitet, verschwenderisch mit den knappen Vorräten umzugehen. Um ihren steigenden Bedarf zu decken, wurde seit Jahren mehr Wasser aus den vorhandenen Quellen geschöpft, als die Natur nachliefern konnte.

Der privilegierten Stellung der Landwirtschaft lagen weniger ökonomische als ideologische Überlegungen zugrunde. Der zionistische Wunschtraum, daß Juden ihr eigenes Land bebauen sollten, führte zu einer Landwirtschaftspolitik, die unter den in Israel naturgegebenen Umständen jeder Vernunft widersprach. In der Wüste wurden Tropenfrüchte angebaut. Und während Israel sich in der Bewunderung sonnte, die seine im Sand gezüchteten Orangen, Grapefruits, Avocados und Kiwis in der Welt auslösten, versiegten langsam die Quellen.

Daß dieser Unfug so viele Jahre betrieben wurde, lastet auch der ehemalige Wasserkommissar Meir Ben- Meir vor allem der politischen Führung an: „Es war doch die Regierung, die den landwirtschaftlichen Siedlungsplan in allen Teilen des Landes beschloß“, sagt er. Noch schlimmer: Bis heute werden weitere Bauernsiedlungen geplant — aus „Sicherheitsgründen“, wie es heißt, um Juden in Gebieten anzusiedeln, wo heute die Mehrheit der Bevölkerung arabisch ist. „Wir brauchen doch keine Landwirtschaft in den Golanhöhen“, klagt Ben-Meir.

„Es ist absurd. Israel hat im Grunde genommen subventioniertes Wasser — in Form von Obst und Gemüse — exportiert.“

Michael Bruno, Gouverneur der israelischen Nationalbank, sieht die Lage ähnlich. „Israel hat genügend Wasser dafür, daß jeder soviel trinken, sich waschen und sonst alles damit machen kann, wie er will. Auch für die Industrie reicht es aus. Die Frage ist nur, wieviel die Agrikultur braucht.“ Durch das für die Landwirtschaft verbilligte Wasser, sagt Bruno, befindet sich das Land in der absurden Situation, daß es im Grunde genommen subventioniertes Wasser — in Form von Obst und Gemüse — exportiert. Die Bauern in Israel werden sich umstellen müssen: „Ich sehe nichts Heiliges darin, daß wir unsere eigenen Zitrusfrüchte, Bananen, Avocados und Tomaten produzieren“, sagt Bruno.

Die Umstellung wird eher früher als später stattfinden müssen, meint auch Professor Dan Zaslavski, Berater des Landwirtschaftsministers Eitan, und Erfinder des Plans, die Bewässerung von Gärten zu verbieten. Für Zaslavski ist allerdings mehr noch als die mangelnde Quantität die mangelnde Qualität des in Israel vorhandenen Wassers das Problem Nummer eins.

Da seit so vielen Jahren mehr Grundwasser aus den natürlichen Reserven gepumpt wird als durch Regen ersetzt werden kann, ist der Wasserspiegel nicht nur des Sees Genezareth auf eine Ebene gesunken, die von Hydrologen als „rote Linie“ bezeichnet wird. So hat ein Prozeß eingesetzt, in dem Seewasser ins Grundwasser sickert. Sollte dem nicht Einhalt geboten werden, sieht Zaslavski voraus, werden bis Ende des Jahrhunderts 20 Prozent der Wasserquellen Israels versalzen sein. „Für jeden Kubikmeter Grundwasser, den wir heute verschwenden, werden wir in Zukunft zum dreifachen Preis entsalzenes Wasser herstellen müssen“, warnt er.

Noch viel gefährlicher, sagt der Professor, ist die Verunreinigung des Grundwassers durch die schlechte Kanalisation in vielen Teilen des Landes. „Seit Jahren sickert das Regenwasser durch offene Müllhaufen auf den Abfallplätzen in den Boden durch und kommt so ins Grundwasser“, erklärt Zaslavski. In manchen Städten im Norden wird das Kloakenwasser direkt in Nebenflüsse des Jordan geleitet und gelangt so in den See Genezareth. In anderen ist die Kanalisation so veraltet, daß bis zu fünfzig Prozent des Abflusses aus den Rohren leckt.

Schon 1985 erkrankten etwa 8.000 Bewohner des westlichen Galiläa an Ruhr. Der Beschluß, die Kanalisation zu überholen, ging irgendwo in der Bürokratie unter. Statt dessen wurden erhebliche Mengen von Chlor ins unreine Wasser getan. 1988 mußte dann die ganze Bevölkerung Israels gegen Polio geimpft werden, nachdem sieben Fälle bekannt wurden und der Virus in den offenen Kloaken einiger Städte in verschiedenen Teilen des Landes entdeckt wurde. Im Jahr danach kam nach einem erneuten Ausbruch von Ruhr wieder der Befehl, das Trinkwasser abzukochen. Und weiterhin wird das Problem vor allem mit Chlor „gelöst“.

Eine grundlegendere Lösung der Wasserprobleme Israels wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlern im Auftrag der Regierung schon 1988 dem Landwirtschaftsministerium vorgelegt. Erst vor kurzem wurde der Plan wieder aus der Schublade geholt. Er sieht ähnliches vor, wie Finanzkontrolleurin Miriam Ben-Porath in ihrem Bericht vorschlägt: Sparen — und zwar überall, Wasserquoten für die Landwirtschaft müßten drastisch reduziert werden, der Preis erhöht. Die Kanalisation im ganzen Land müßte modernisiert, neue und billigere Wege, Wasser zu entsalzen, erforscht werden. Zudem müßte die Öffentlichkeit vom Ernst der Lage überzeugt und dazu erzogen werden, Wasser nicht zu verschwenden. Selbst wenn noch erlaubt wird, den Rasen zu bewässern, müßte dies zum Beispiel nur abends geschehen, damit die Hälfte des Wassers nicht verdampft. Die Liste der vernünftigen Wassersparvorschläge ist schier endlos, fehlen tut scheinbar nur der Wille dazu.

Vierzig Prozent seines Trinkwassers holt Israel aus Quellen in der Westbank

Bei allen Plänen für eine wirtschaftliche Ausnützung der Israel zur Verfügung stehenden Wasserquellen wird allerdings ein Punkt gern übersehen: die Rede ist zu einem großen Teil von Quellen, die Israel nach internationalen Recht nur zum Teil oder gar nicht gehören. Durch die Besetzung der Golan-Höhen und einen Teil des Südlibanon kontrolliert Israel heute sämtliche Quellen des Jordan-Flusses. Etwa vierzig Prozent des Trinkwassers, das das Land braucht, holt es aus Quellen, die unter der Westbank liegen.

Schon seit Jahren prophezeien Nahostexperten, daß der nächste israelisch-arabische Krieg über Wasser geführt wird. Sollte es stattdessen zu Friedensgesprächen zwischen Israel und seinen Nachbarn kommen, so dürfte diese Frage am Ende noch heikler als die palästinensische werden. Landwirtschaftsminiter Eitan, lautstarker Verfechter eines „Großisraels“ meint dazu: „Wenn Jordanien die Zusammenarbeit bei der Schöpfung von neuen Wasserquellen mit anderen Dingen verknüpfen will, die nicht in unserem Sinne sind, dann wird Jordanien eben ohne Wasser bleiben.“

Sollten Moses und Jesus demnächst beschließen, ein altes Wunder neu zu inszenieren, hätte das Wandeln über den See keinen Sinn. Teilen müßten sie ihn.