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Helmut Kohl — „Kanzler der Schwulen“

Bonn (taz) — Der Schwulenverband in Deutschland (SVD) präsentierte gestern in Bonn seine Vorstellungen, wie eine mögliche Strafwürdigkeit bestimmter schwuler und heterosexueller Verkehrsformen neu geregelt werden soll. Hauptforderung ist dabei „das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Jugendlichen“. Die Überlegungen zielen dabei in ein sexualrechtliches Vakuum, wenn demnächst jenes Regierungsvorhaben umgesetzt wird, das den unheilvollen §175 streichen will. Diese Streichung schreibt sich der Leipziger Schwulenverband auf die eigenen Fahnen, denn man habe, so Verbandssprecher Volker Beck, erst 1988 der alten DDR-Regierung „die Beseitigung der Sonderbehandlung von Homosexualität abgetrotzt“ und dann, 1990, über die Bürgerbewegungen verhindert, daß der §175 West deutschlandweites Gesetz wurde. Folglich sei die Streichung kein politischer Wille der Regierung, sondern nur wegen der innerdeutschen Rechtsangleichung unumgänglich geworden. Wohl aber sei es „eine politische und keine wissenschaftliche Frage“, jetzt an neuen einengenden Jugendschutzvorschriften zu basteln. Denn diese seien „nur ein Vorwand, um einen liberaleren Umgang mit Sexualität zu verhindern“. „Jugendliche müssen lernen, zu verführen und sich verführen zu lassen“, sagt Manfred Bruns, Bundesanwalt am Bundesgerichtshof und Beauftragter des SVD.

Und Verbandssprecher Beck, historisch versiert, weiß auch, bei wem er sich bedankt: 1980, als die Abschaffung des §175 schon einmal lautstark gefordert wurde, hatte sich Helmut Schmidt ausdrücklich dagegen verwehrt, „ein Kanzler der Schwulen“ zu sein. Folglich, freute sich Beck, „dürfen wir wohl bald Helmut Kohl zu dem Ehrentitel ,Kanzler der Schwulen‘ gratulieren“. Bernd Müllender

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