Ein ganz normaler Kindermörder

■ Schnürschuhtheaters neues Stück „Kind. Mörder.“ über Jürgen Bartsch hat demnächst Premiere

„Zieh dich aus, sonst mach ich dich kaputt. Du legst dich jetzt auf mich. Ich gebe dir 13 Schläge auf den Hintern. Wenn du nicht willst, bringe ich dich um.“ So Lutz Gajewski alias Jürgen Bartsch in dem neuen Schnürschuh-Stück „Kind. Mörder.“ zu seinem „Freund“ im Heim.

Jürgen Bartsch geistert als Bestie durch unsere Köpfe: ein Jugendlicher, der kleine Jungen mißbraucht, sie ermordet und zerstückelt. Zu lebenslänglicher Haft verurteilt, stirbt er 1976 während der „freiwilligen“ Kastration auf dem Operationstisch. Vorher hat er sein Leben erzählt. Animiert durch JournalistInnen, FilmerInnen, SchriftstellerInnen und durch Fachliteratur hinterläßt er sein Leben als Dokument, spektakulär und authentisch. Authentisch?

Der Junge, den niemals jemand anhören wollte, der immer ein braver Junge sein sollte, nutzt die Chance: Zum ersten Mal in seinem Leben soll er reden, und die braven Bürger hängen an seinen Lippen.

„Alles gelogen“, war der erste Eindruck des Hauptdarstellers Lutz Gajewski von den Selbstinterpretationen des inhaftierten Jürgen Bartsch. Aber schließlich fanden sich die drei SchauspielerInnen vom Schnürschuh Theater in der außergewöhnlichen Geschichte des ganz normalen Jungen wieder: „Eine Mutter, wie wir sie alle gehabt haben könnten“, sagt Karin Uthoff über ihre Rolle, „eben lieb gemeint, aber doch daneben.“

Jürgen ist ein Adoptivkind, das die Erwartungen der Eltern nicht erfüllen kann. Die Mutter will ihn sauber, pünktlich, gehorsam. Er liebt Heintje und Freddy und seinen Spielkameraden, der ihm ein Aufklärungsbuch mitbringt. In der Schule wird er gepiesackt. Schwört Rache und beschmiert den Küchenschrank der Mutter: „Rächer“. Ab ins Heim. Dort herrscht preußische Zucht.

Das Bühnenbild ist sauber, weiß wie das Persil der sechziger Jahre, fast klinisch steril. Das Mobiliar ist aus kaltem Aluminium, regalartige Gestänge dienen mal als Schrank, mal als Etagenbett. Große Plüschhunde sitzen als einziges Indiz für Gefühle in Reih und Glied.

Jürgen und sein Freund Axel tollen herum. Liegen aufeinander, ihr Lachen verstummt. Nur noch Berührungen. Ein bißchen brutal zieht Jürgen seinen Axel bäuchlings auf den Schoß, schiebt ihm seine Hände zart von unten ins kurze Hosenbein und von oben in den Hosenbund. Axel genießt.

In „Kind. Mörder.“ ist die Lebensgeschichte des Jürgen Bartsch keine Sensation. „Wir suchen nicht den Grund dafür, daß Jürgen Bartsch zum Mörder geworden ist“, sagt Regisseur Carsten Werner, „wir wollen eine spannende Geschichte erzählen. Und den Mörder ein bißchen mehr verstehen“.

Die ZuschauerInnen sollen sich aber nicht sensationslüstern abgrenzen können von dem gemeinen Mörder-Schwein und seinen perversen Neigungen. Erkan Altun, der die Freunde und Opfer spielt, über Bartsch: „Sein großes Mitteilungsbedürfnis und auch seine Eitelkeit machen ihn sogar sympathisch. Das macht seine Geschichte noch unfaßbarer.“

Das Schnürschuh-Theater setzt mit „Kind. Mörder“ seine Tradition der — wenn man so will — sozialpsychologischen Gesellschaftskritik fort. Und zitiert in seinem Faltblatt drei Spalten Ulrike Meinhof — über das soziale Wrack Bartsch und die kranke Normalität der bürgerlichen Gesellschaft. Beate Ramm

Premiere am 25. April im Konsul- Hackfeld-Haus