Gott,der Jammerlappen

■ »Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird« von Peter Weiss in der Schillertheater Werkstatt

Hätte ich es gestern nicht mit meinen beiden leibhaftigen Augen gesehen: Ich hätte nicht geglaubt, daß Peter Weiss lustig sein kann. Daß er in einer Art Schnapslaune Moritaten verfaßt hat, vom kleinen Mann, der immerzu auf die Nase fällt und der am Schluß erlöst wird, nicht, weil ein Gott oder Engel oder ein gefundener Goldschatz ihm hülfe, nur weil er erkennt, daß er seine Schuhe verkehrt herum trägt.

Dieses Lehrstück vom »Schau-lieber-auf-deine-eigenen-Füße« wurde in der Schillertheater Werkstatt von Hans Otto Zimmermann und Airan Berg munter und jahrmarktsartig inszeniert. Die Erde, auf der dieses kleine Welttheater stattfindet, ist noch eine Scheibe, ist noch nicht zur Kugelgestalt gelangt. Auf dieser vorkopernikanischen Spielfläche wird auch vorkopernikanisch gespielt, derb-dreist und unpsychologisch, ein großartig dumber Herr Mockinpott (Heino Ferch) läuft im Kreis die Stationen seines exemplarischen Lebens ab.

Die erste Station ist natürlich das Gefängnis: Herr Mockinpott sitzt dort als kafkaeske Figur, ist sich keiner Schuld bewußt, kommt nicht in die Gunst eines Verhörs, geschweige denn eines Urteils, muß dafür noch bezahlen, daß man ihm Brot und Wasser serviert. Gegen gute Dukaten gelangt er indes in die Freiheit, die Freiheit, in die er frischfröhlich hineinläuft, erweist sich jedoch bald als leer durchdrehende Scheibe, mit Abstiegschancen, was seinen Mut betrifft. Seine Frau, in ihrer aufgedunsenen Bettexistenz an Joycens Molly Bloom erinnernd, erkennt ihn nicht wieder, wirft ihn umgehend hinaus, zwei aus dem Bett weit vorragende Füße und eine aufgebauschte Daunendecke verraten, daß sie sich jetzt an anderen wärmt.

Ebenso weiß sein früherer Arbeitgeber nichts mehr von einem Angestellten namens Mockinpott — in seiner Ausgestoßenheit begegnet er schließlich einem, der aus einem Gulli hervorsieht und sagt, sein Name sei Wurst. Dieser knackige Wurst (Ivan Gallardo) hat wirklich zwei Enden, von denen er eines als Rettungsanker verleiht. Seine Wurstigkeit erweist sich nämlich als lebensnahes Prinzip: Wurst führt den kranken Mockinpott zu Ärzten, die ihm die Hirnschale aufschneiden und sein Gehirn kräftig durchsalzen und -rühren, auf daß er zu ewigem Lächeln kuriert sein wird. Sie operieren ihm auch sein gewaltiges Herz heraus, blinkend wie der Rückstrahler eines Maserati. Von Herz und Hirn befreit, ist er imstande, vor die Regierung zu treten und Erklärungen zu seiner Lage zu erbitten, die wie die Ausführungen anläßlich des jüngst in Berlin abgewickelten Staatsakts klingen: »Geschlossen entschlossen unverdrossen zusammengeschlossen.«

Da bleibt nur noch der liebe Gott und der ist ein herzkranker und selbstmitleidiger Jammerlappen, von der psychischen Konstituion eines heutigen Erich Honecker etwa, der sich beklagt, daß er nicht wisse, ob seine »Firma und alles, was man da investiert, in all ihren Abteilungen noch funktioniert«, er redet was von Schmiergeldern und vom Drehen und Wenden — das Stück kann nicht umhin, aktuell zu sein.

Es bliebe nur die Frage, für wen der Engel (Joachim Schönfeld), der das Geschehen vom Bühnenrand kommentiert hat und mit seinem Miserere so schön scheinheilig anteilnehmend das irdische Jammertal abgesungen hat, für wen er am Schluß sterben muß. Die Moral ist angekommen, die Scheibe hat sich in einem flotten Tempo gedreht, gewandte Schauspieler wie Suzanne von Borsody, Fritz Truppe und Christina Graefe haben die unterschiedlichsten Rollen bekleidet, Spiel, Rhythmus und Ausstattung ergaben eine irdische Wonne, ein Hochvergnügen von 60 Minuten — mögen ruhig alle Engel zum Teufel gehen. Michaela Ott