KOMMENTAR
: Tempolimit für Hassemer

■ Geschwindigkeit und Gigantomanie könnten die erfolgversprechende Hauptstadtplanung gefährden

Volker Hassemer, Stadtentwicklungssenator und Vater des gestern erstmals tagenden Stadtforums, hat in wenigen Wochen eine neue Perspektive in der Stadtgestaltung eröffnet: Er hat einen runden Tisch mit internationalen Architekten, Stadtplanern, Staatssekretären, Beamten, Gewerkschaftern, Kirchenvertretern und Bürgerinitiativen geschaffen, an dem erstmals öffentlich über die Zukunft der Spreemetropole diskutiert wird. Zwar hat Hassemers Forum nur beratende Funktion, dennoch ist die Vollversammlung gesellschaftlicher Kräfte genial. Erstmals hat ein Teil der Öffentlichkeit die Chance, ihre Stadt mitzugestalten. Über die Fragen zur Wohnungsnot, zum Umgang mit den Plattenbau-Großsiedlungen und zur Gestaltung der fehlenden Berliner Mitte wird nicht mehr heimlich hinter Behördenschreibtischen entschieden werden können.

Doch trotz aller Begeisterung bleibt der Verdacht, daß wie immer an den Bedürfnissen der Stadtbewohner vorbeigeplant wird. Allein das Tempo, das Hassemer eingeschlagen hat, ist suspekt. Er läßt dem Stadtforum ein halbes Jahr Zeit für Vorschläge, die Jahrhunderte prägen könnten. Wenn es nicht schnell genug gehe, würden potentielle Investoren abspringen und dem Berliner Haushalt eine Menge Geld verloren gehen, heißt es. Dies scheint »den Zwang, schnell zu sein« (Hassemer) zu rechtfertigen. Doch würden kapitalkräftige Bauherren wirklich Berlins Staatssäckel füllen, müßte in New York die reichste Stadtregierung der Welt sitzen, schließlich ist dort auf kleinsten Flächen das meiste Geld verbaut worden — tatsächlich ist New Yorks Haushalt aber bankrott. Daß sich Hassemers Stadtforum nicht die nötige Zeit läßt, darauf drängen auch nationale und internationale Medien. Sie erwarten, daß etwas Gigantisches passiert. Die Bedürfnisse der Stadtbewohner werden übersehen, weil sie sensationslos sind. Gigantisch kann es nur in der Höhe werden. Aber wer den Himmel erobern will, sollte Zeit zum Nachdenken haben. Dirk Wildt