Ein Versuch, „Saddams Krieg“ zu erklären

■ Eine Publikation über Saddam Husseins Entwicklung zum starken Mann Iraks, die mehr verspricht, als sie hält

Ein Klappentext ist fast immer auch ein Große-Klappe-Text. Das gilt auch für dieses Buch. Es wird zuviel versprochen. Und was hier? Endgültige Aufklärung darüber, wie aus dem Straßenbanditen Saddam Hussein kein Ali Baba wurde, sondern der Apparatschik der Baath-Partei, der Nebudkadnezar auf und aus Pappe. Die Autoren versuchen sich am sogenannten Stammbaum: Michel Aflak ist der Ideologe der Baath- Partei, Saddam ist sein Schüler — das moderne Duo, der ideologische Kopf und sein starker Arm, aus dem dann das Duo des starken Mannes und seines auf Eiermaß geschrumpfte Köpfchen wird.

Hier liegt denn auch auch der wesentliche Fehler des in den ersten drei Kapiteln unternommenen Versuchs, aus dem dann die Konsequenz folgt: die Baath-Partei sei dem „Nationalsozialismus ähnlicher als dem im Nahen Osten üblichen willkürlichen Despotismus“. Obwohl diese Konsequenz richtig ist — die Ableitung ist falsch. Denn bis 1967 konzentrierte sich Michel Aflaks politisches Wirken auf Syrien. Dann ging er ins libanesische Exil, um erst 1968 nach Bagdad zu kommen, als dort Saddam Hussein bereits zweiter Mann in der Parteihierarchie und faktisch der starke Mann war.

Gewiß finden sich in Aflaks Werk genug Anhaltspunkte für eine Führerideologie, einen Vitalismus der Massen. Saddam ist jedoch nicht „der Schüler“ Aflaks, als der er hier apostrophiert wird. Es stimmt auch nicht, wie die Autoren Bulloch und Morris behaupten, daß die Baath- Partei nie etwas mit parlamentarischer Demokratie im Sinn gehabt hätte. Seit 1947 blieb sie nach ihrer Gründung durch Aflak und den später ermordeten Politiker Salah Bitar auf einen kleinen Kreis von Intellektuellen beschränkt. Sie führte das Dasein eines Diskussionsklubs auf der Suche nach Resonanz und einer Figur oder Organisation, die ihr die Massen als Resonanzboden zugänglich machte. Dies war dann zunächst die Sozialistische Partei Syriens (seitdem führt die Baath-Partei das Prädikat „sozialistisch“ im Namen), dann, während der zeitweiligen staatlichen Vereinigung Syriens und Ägyptens (1958 bis 1963) Gamal Abdal Nasser. 1967 wurden Aflak und andere Gründungsmitglieder aus der Partei ausgeschlossen. In Syrien bemächtigten sich die Militärs der Partei. Und im Irak?

Die irakische Baath-Partei hat Damir Shawkat als Stammvater. Der wird von den Autoren völlig unerwähnt gelassen, obwohl er es war, der dort Anfang der 50er Jahre die Baath-Partei gründete. Keine 20 Jahre früher hatte er bereits die 'Futuwwa‘, Jugendorganisationen nach dem Modell der Hitlerjugend, gebildet. Shawkat war übrigens auch Gesprächspartner und Gast Baldur von Schirachs. Während also die Baath in Syrien zunächst von Intellektuellen, dann von Militärs bestimmt wurde, waren ihre Träger im Irak immer Aktionisten mit dem Erbe faschistischer Gangs der 30er Jahre. Im Irak setzten sie sich dann, vor allem Dank Saddam, gegen das Militär durch.

Auch der zweite Teil des Klappentextes suggeriert etwas, für das sich im Buch nicht viel Anhaltspunkte finden lassen. Darin heißt es, daß „exklusive Interviews“ enthüllten, wie der Diktator von Bagdad zwei Jahrzehnte lang versuchte, ein irakisches Großreich durchzusetzen. Es findet sich allerdings im Buch kein Interview, das nicht vorher schon durch die internationale Presse gegangen wäre. Und was die Autoren aufzeigen, ist nicht so sehr Saddams Versuch, ein Großreich zu bilden, als Hegemonie in der arabischen Welt zu erwerben. Daß sich Saddam diese Möglichkeit durch seine Fehlkalkulation des Krieges gegen Iran verscherzte, macht den Golfkrieg aus dieser Sicht zum Nachspiel des ersteren. Es ist daher richtig, wenn auch dem Krieg gegen Iran einiger Raum gewidmet wird. Nur wird der innere Zusammenhang nicht scharf herausgearbeitet, oder er geht unter im Strom der Fakten.

Über Kuwait selbst, dem ebenfalls ein Kapitel gewidmet ist, hätte man mehr sagen können. Immerhin weisen die Autoren darauf hin, wie wackelig der „historische“ Anspruch des Irak ist. Ihr Fazit lautet, daß der Westen wie die arabischen Nachbarn sträflich nur die Diplomatie im Auge hatten und den anhaltenden Truppenaufmarsch an Kuwaits Grenze ignorierten oder eben nur als drohendes Imponiergehabe interpretierten.

Was aber die unglaubliche Häufung gegenseitiger Fehleinschätzungen betrifft, die zur Krise führten, ist das ebenfalls gerade erschienene Buch Krieg am Golf von Salinger und Laurent (Besprechung folgt) geschlossener und spannender. Robert Detobel

John Bulloch/Harvey Morris, Saddams Krieg, Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1991