Schwieriges Erbe — der englische Garten in Afrika

■ Zwei Beispiele kolonialer Hinterlassenschaft: Malawi und Sudan/ Hier die zivilisatorische Pflege des englischen Garten, dort die inkompetente Verwaltung ökologischer Verwüstung/ Wäre es für Afrika nicht sogar besser, der Westen würde den „dunklen Kontinent“ erst einmal wieder vergessen?

Wie wird aus einem weißen Fleck ein schwarzer Kontinent? Im europäischen Verstehen ist Afrika weit weg, irgendwo zwischen terra incognita und verdammter Erde. Als ob sich niemals Europäer darangemacht hätten, diesen Erdteil zu vereinnahmen und umzukrempeln. Die Kolonisatoren sind gegangen — was sie angerichtet haben, bleibt.

Hauptfigur des britischen Kolonialmythos ist David Livingstone, der Forscher der im Dschungel verschwand und, glaubt man den englischen Geschichtsbüchern, sich sodann bemühte, den Dschungel in einen Garten zu verwandeln. Christianity, Commerce and Civilization — Christentum, Handel und Zivilsation lauteten die Schlagworte: Missionare befahlen Afrikanern, Hosen zu tragen, Baumwolle zu pflanzen und in die Kirche zu gehen. Wirtschaftsunternehmen bauten Eisenbahnen und requirierten Arbeitskräfte für die Exportindustrie. Verwalter und Ethnologen studierten die „wilden“ Stämme und versuchten, den Völkern der Dämmerung die Segnungen des Lichts zu bringen.

Was aus diesem Versuch wurde, Afrika zu einem englischen Garten zu ordnen, ist bekannt. Die Humanbotaniker, die Menschen für Pflanzen hielten und Interaktion mit Chemiedüngereinsatz verwechselten, erlaubten schließlich ihren Sprößlingen, sich selbst zu regieren. Der Vorgang, wie aus Objekten des Kolonialismus Subjekte der Unabhängigkeit wurden, stellt sich als Prozeß der Abschüttelung fremder Herrschaft dar: Afrikanische Führer, so das gängige Bild, mobilisieren ihre unterdrückten Landsleute zum Kampf gegen das koloniale Joch.

Doch wie geschah es tatsächlich? Alice Petersens Studie Livingstones schwarze Erben ist ein Versuch, die Dialektik der afrikanischen Emanzipation am Beispiel der ehemaligen britischen Kolonie Nyasaland (des heutigen Malawi) zu ergründen. Hier gelten Livingstones Prinzipien noch nach 27 Jahren Unabhängigkeit. „Kinder müssen geführt werden“, zitiert Petersen die jährlich wiederholte Rede des Präsidenten Banda zur Eröffnung der Jugendwoche, wenn Jugendliche zum Arbeitsdienst eingezogen werden. „Sie dürfen nicht sich selbst überlassen bleiben... Ihnen muß Disziplin beigebracht werden, Folgsamkeit gegenüber denen, die über ihnen stehen, in jeder Hinsicht.“

Diese viktorianische Moral hält Malawis Elite einmütig gegen die Dekadenz des Westens hoch, und in ihr wird das Paradox der Entkolonialisierung deutlich: Die britischen Gärtner überließen ihr botanisches Kunstwerk den Einheimischen, und diese konnten nun sehen, was sie damit anfangen sollten. Sie durften den ihnen anvertrauten englischen Garten nicht verwildern lassen — das hätte als Beleg für afrikanische Zivilisationsunfähigkeit gegolten. Sie konnten ihn nicht fortentwickeln — der Plan lag in London. Sie blieb nur die Pflege der Anlage, so wie sie war. Darum mußte der Livingstone-Blick erhalten bleiben.

So Alice Petersens These, mit der sie den eigentümlichen Konservatismus des heutigen Malawi erklärt. Doch ihr Hauptaugenmerk gilt der Entstehung der anglophilen schwarzen Elite, die sich Christianity, Commerce and Civilization zu eigen machte und der darin enthaltenen politischen Strategie, gleichzeitig ein Weg zur Befreiung: Sobald die Kolonisierten lernen, wie die Kolonisatoren zu leben, werden letztere überflüssig. „Unseren Herrschern, den Weißen, sage ich — wir danken Euch, daß Ihr uns den Frieden und den Wohlstand brachtet, der uns so weit emporgehoben hat. Doch die Zivilisation, die Ihr uns gelehrt habt, zwingt uns dazu, größeres anzustreben, und wir erbitten Eure Sympathie in unserem Vorhaben.“ Dies schrieb im Jahre 1924 Levi Mumba, der zu einem Wortführer der schwarzen Bildungselite Nyasalands werden sollte. Sein Appell an die Herrschenden, den Lauf der Geschichte nicht aufzuhalten, sollte in einem Deutschland, das die DDR-Wende miterlebt hat, nicht verwundern. Wie sagte man doch im September 1989? „Wir treten aus unseren Rollen heraus. Die Situation in unserem Land zwingt uns dazu...“

Malawis New Men, wie sie heute genannt werden, kannten sich in dem von Livingstones Missionaren angelegten Garten gut aus. Doch ihre politischen Referenzen stammten aus Europa, und ihre ursprünglichen Beweggründe waren die der europäischen Politik. Vom Aufstand des malawischen Nationalhelden John Chilembwe 1913 bis hin zur Gründung des Nyasaland African Congress 1943 entspringt politisches Handeln nicht der Dynamik der afrikanischen Gesellschaften, sondern entsteht in Reaktion auf Entscheidungen der britischen Behörden.

Leider unterschlägt Alice Petersen jedoch — und dies ist völlig unverständlich — die nächsten zwanzig Jahre der malawischen Geschichte: die Zeit zwischen der Entstehung einer landesweiten Schwarzenorganisation Mitte der 40er Jahre und der Unabhängigkeit 1964. So erfährt man nicht, daß der Nyasaland African Congress in dieser Zeit verboten wurde und seine Führer in Haft gerieten. Auch die radikalisierte Stimmung, in die der jetzige Präsident Banda aus England zurück nach Nyasaland kam und zum wichtigsten malawischen Politiker wurde, fällt unter den Tisch. Stattdessen schließt das Buch geradewegs von der Unterwürfigkeit eines Levi Mumba auf den Konservatismus der jetzigen Banda-Herrschaft — ein geschichtlicher Schleichweg, der der tatsächlichen Wendigkeit einer aus Verinnerlichung britischer Werte geborenen Politik keine Rechnung trägt.

Dies zu berücksichtigen, hätte nicht nur den Tatsachen entsprochen, sondern auch einen Blick über den malawischen Tellerrand ermöglicht. Denn Livingstones Gärtnerei war keineswegs überall erfolgreich, noch führte sie zwangsläufig zu einer musealen Wertekonservierung. Einer der härtesten Brocken, den die britischen Imperialisten zu verdauen suchten, hieß Sudan. Nie richtig britische Kolonie, doch auch nie ein eigenständiges Ganzes, galt das sudanesisches Territorium als Heimat hartnäckiger Aufständischer. Noch heute nennen englische Schulbücher die Erhebung des Mahdi, der zwischen 1881 und 1899 die Briten zur Verzweiflung trieb, als Beispiel orientalischer Wüstenkriegskunst, während andere antikoloniale Rebellionen längst in Vergessenheit geraten sind.

Das Bild des Sudan als unbezwingbarer Wüstenei ist auch mitverantwortlich dafür, daß die Hungersnöte der 80er Jahre mit weniger Entsetzen verfolgt wurden als die des benachbarten Äthiopien, obwohl sie genauso verheerend wüteten. Mohamed Osmans Studie Verwüstung ist eine Anklageschrift gegen die Tendenz, den Sudan als Naturkatastrophe abzuschreiben. Er untersucht die Verfehlungen, die aus einem Nahrungsmittelüberschußproduzenten einen Bettler gemacht haben. Dabei geht er streng systemtheoretisch vor: die natürlichen Umweltbedingungen definiert Osman als Risikofaktoren, welche die Auswirkungen menschlichen Handelns determinieren — Auswirkungen, die also von politisch gewünschten Zielsetzungen wenig beeinflußt werden können. Da die Politik keine Risikoanalyse vornimmt, scheitert sie. Und in ihrem Scheitern wirkt sie negativ auf die Umweltbedingungen zurück: So führt falsche Bodennutzung, beispielsweise in Form von Überweidung, zu Klimawandel und Veränderungen im Wasserhaushalt, die erst dann bemerkt werden, wenn sie nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Besonders interessant wird Mohamed Osmans Zugang durch seinen nahezu ausschließlichen Rückgriff auf Forschungsergebnisse sudanesischer Wissenschaftler. Ziel seiner Studie ist nämlich auch, für die einheimische Wissenschaft eine politische Rolle zu reklamieren. Wenn man einen Garten zu bewirtschaften hat, so die Logik, dann bitte unter Leitung kompetenter Gärtner und nicht der Böcke, die gerade auf den Regierungssessel besetzt haben.

Jahrzehntelang, so Osmans These, haben sowohl der sudanesische Staat wie auch ausländische Hilfsorganisationen die lokale Kompetenz vernachlässigt. An deren Stelle setzten sie eingeflogene Experten ohne Kenntnis der Bedingungen des Landes. Im Selbstverständnis der Politik des 1969 bis 1985 herrschenden Numeiry-Regimes, aber auch der in dieser Zeit im Sudan wirkenden Entwicklungshilfeorganisationen, galten die einheimischen Wissenschaftler als Störfaktoren, die der Verwirklichung politischer Ziele im Wege standen. So wurden sie ausgeschaltet oder ins Exil getrieben. Statt Risiken zu erkennen und zu minimieren, wurden also Störungen definiert und bekämpft — eine Strategie, die unbequeme Gedanken eliminiert, ökologischen Tatsachen aber nicht gerecht wird. Nachdem somit im Staatsapparat die Kompetenz fehlte, mit deren Hilfe die sich verschärfenden ökologischen und wirtschaftlichen Krisen hätten gelöst werden können, blieb westlichen Entwicklungspartnern Raum für Luftschlösser.

Osmans Anklage gegen die internationale Entwicklungshilfe, die er für mitverantwortlich an der Unterdrückung einheimischen Wissens hält, wiegt im Grunde noch schwerer als die malawische Kritik an Livingstones Missionierungsmonopol. Denn während Christianity, Commerce and Civilization von Nyasalands Bildungselite politisch angeeignet und zum Kernpunkt einer Befreiungsbewegung werden konnte, hinterlassen die Experten der Entwicklungsorganisationen nichts. Wenn es wahr ist, daß die lange Kumpanei zwischen Diktatoren und Helfern ein im wörtlichen Sinne am Boden zerstörtes Land hinterlassen hat — wäre es dann nicht besser, das zu tun, was derzeit alle beklagen: Afrika vergessen?

Die Schicksale von Sudan und Nyasaland machen deutlich, daß staatliche Unabhängigkeit nicht ausreicht, um politisches Denken auf eine eigene Grundlage zu stellen. In einem Fall wird der Garten, den man bewohnt, zum Ausplünderungs-, im anderen zum Museumsobjekt. Wenn Aufklärung heißt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Kant), so folgt aus Osmans und Petersens Analysen, daß sowohl Livingstones Erben als auch die Verwüster des Sudan unaufgeklärte Herrscher sind. Beide bedienen sich eines fremden Verstandes. Dominic Johnson

Alice Petersen, Livingstones schwarze Erben. Kolonialherrschaft und afrikanische Elite — Das Beispiel Malawi. Unkel, Horlemann 1990. 224 S., 42 DM.

Mohamed Osman, Verwüstung. Die Zerstörung von Kulturland am Beispiel des Sudan. Bremen, Ed. CON 1990. 128 S., 19,80 DM.