Kronzeugen von der Staatssicherheit?

■ Generalbundesanwalt: Wenn ehemalige Stasi-Offiziere auspacken, ist Kronzeugenregelung „möglich“/ 'FAZ‘ wittert Verschwörung: Über die Autonomen steuerte die Stasi Berliner Parteien

Berlin (taz) — Kronzeuge Stasi: Um das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) und dem ehemaligen Staatssicherheitsdienst der DDR auszuloten, will Generalbundesanwalt Alexander von Stahl unter Umständen auch auf die umstrittene Kronzeugenregelung zurückgreifen. Unter der Voraussetzung, daß die verhafteten Stasi-Offiziere der Hauptabteilung XXII (Terrorabwehr) „wesentlich“ zur Aufklärung der bisher nur in Ansätzen bekannten Unterstützung der RAF beitragen, nannte von Stahl die Anwendung des strafmildernden Sondergesetzes „möglich“. Das sagte er gestern gegenüber der 'Welt‘. Die Frage, ob diese Möglichkeit derzeit konkret erwogen wird, wollte er ebensowenig beantworten wie die, ob sie dem stellvertretenden Stasi-Minister Neiber und den mit ihm verhafteten vier anderen früheren Offizieren als Angebot unterbreitet wurde. Allein die Tatsache, daß in der Karlsruher Bundesanwaltschaft über die Anwendung des Kronzeugengesetzes nachgedacht wird, deutet auf einen Mangel an gerichtsverwertbaren Beweisen hin. Nach dem Sondergesetz kann die Kronzeugenregelung nur dann angewendet werden, wenn ein Verbrechen auf andere Weise nicht aufgeklärt werden kann. Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz wollen insbesondere herausfinden, ob die Stasi an den Vorbereitungen für RAF-Anschläge auch über 1984 hinaus beteiligt war.

Ein 'FAZ‘-Verschwörungstheoretiker weitete gestern den Komplex der Zusammenarbeit von Stasi und militanten Gruppen auch auf die in Berlin lebenden Kreuzberger Autonomen aus. Danach soll das MfS mit der „Roten Zora“, aber auch mit den Autonomen „im Bunde gestanden“ haben. Die von der Stasi „instrumentalisierten Westberliner Gewalttäter“ hätten in der Folge das Klima im freien Teil der Stadt wesentlich mitbestimmt. Als Beispiel muß der Besuch des US-Präsidenten Reagan während der 750-Jahr-Feier in Berlin herhalten. Autonome hätten damals die schweren Krawalle zu verantworten, die anschließend „das gleichgeschaltete Fernsehen der DDR propagandistisch“ ausschlachten konnte und die das Erscheinungsbild Berlins insbesondere in den Vereinigten Staaten geschädigt hätten. Geradezu grotesk ist die Schlußfolgerung, am Beipiel des rasanten Aufstiegs der Berliner „Republikaner“ im Winter 1988 lasse sich zeigen, wie die Autonomen (und die dahinter stehende Stasi) „konkrete politische Veränderungen bewirkten“. Eine Straßenschlacht anläßlich eines REP-Kongresses am Vorabend der Wahl im Frühjahr 1989 hätte nicht nur Hunderte von Polzisten in die Arme der Rechtspartei getrieben — erst dadurch hätten die REPs die Propaganda erlangt, die ihnen den Einzug ins Abgeordnetenhaus ermöglichte. Die Folge sei gewesen, daß „SPD und die Alternative Liste den Berliner Senat bildeten“. Wolfgang Gast