Universität Oldenburg: Nicht links, sondern innovativ

■ Uni im Wandel: Sanfte Technologien und Praktika im Wattenmeer / Erziehungswissenschaften als Steinbruch

Wer an der Ammerländer Heerstraße aus dem Bus steigt, um zur Universität Oldenburg zu kommen, dem fällt sofort die riesige weiße Friedenstaube auf blauem Grund oben an dem Betongebäude im 70er-Jahre-Look auf: StudentInnen brachten sie in den 80er Jahren dort an und die Uni- Leitung duldete das Friedenssymbol. Darunter prangt in großen weißen Lettern der seit der Universitäts-Gründung 1973 umstrittene und heute noch inoffizielle Name: „Carl von Ossietzky-Universität“. Um die antifaschistische Tradition der Uni zu unterstreichen, fordern StudentInnen und Hochschul-Leitung seit fast zwanzig Jahren den Namen des an den Folgen seiner KZ- Haft gestorbenen Publizisten Ossietzky ein.

Ist die ehemalige „Auffangstätte für die Pensionäre der StudentInnen-Revolte“, wie Biologie-Professor Wolfgang Krumbein seinen Arbeitsplatz nennt, heute noch immer eine linke Universität? Gudrun Pabst, die stellvertretende Uni-Sprecherin, meint „nein“. Pabst: „'Fortschrittlich‘ ist vielleicht die richtige Bezeichnung.“ Auch der Begriff „innovativ“ taucht häufig in den Selbstdarstellungen des Oldenburger Wissenschaftsbetriebes auf. Nicht rot ist die Farbe der Uni, sondern blau-grün, erklärt Gudrun Pabst und deutet auf ein Infoblatt, das in diesen Farben gehalten ist. Blau-grün steht für die geographische Lage in der weitgehend landwirtschaftlich geprägten Weser-Ems-Region nahe der Nordsee. Die Farben stehen aber auch für das Primat der Ökologie in der naturwissenschaftlichen Forschung und Lehre. Viele StudentInnen kommen extra nach Oldenburg, weil hier die sanfte Technologie erforscht und gelehrt wird.

Unweit der idyllisch in der sumpfigen Haare-Niederung gelegenen Gebäude der Naturwissenschaften rauscht der hohe Windkraft-Rotor des Energielabors. Den elektrischen Strom für das Forschungslabor liefert fast ausschließlich die Windenergie, auch Heizwärme wird aus Wind und Sonne gewonnen. Vom der öffentlichen Energieversorgung ist das Labor unabhängig. Die PhysikerInnen der Arbeitsgruppe „Physik der regenerativen Energiequellen“ erproben hier seit 1982 die ökologischen Anlagen zur Energieerzeugung und StudentInnen können sich im Rahmen ihres Studiums auf diese Fragen spezialisieren.

Ein anderer Anziehungspunkt für StudentInnen der Naturwissenschaften ist das 1987 gegründete „Institut für Chemie und Biologie des Meeres“, das in Verwirklichung des Anspruchs der „Interdisziplinarität“ von den Fächern Mathematik, Biologie, Chemie und Physik gemeinsam getragen wird. Biologie-Professor Krumbein: „Im Rahmen unserer Flachmeer- und Küstenforschung arbeiten wir auch als wissenschaftliche Begleitung für den Nationalpark Wattenmeer.“ Die StudentInnen können sich in ihren Praktika in der freien Natur austoben: Sie messen, sammeln und graben im Wattenmeer und begutachten ihre Ausbeute hinterher in den Uni-Labors.

Dagegen hat im Vergleich zu den Anfangsjahren der Universität „die Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften abgenommen“, klagt Gert Jannsen, der Dekan des Fachbereiches Sozialwissenschaften. 1985 wurde der Fachbereich Informatik neu eingerichtet, 1990 plädierte die Hochschulstruktur-Kommission der Landesregierung dafür, an der blau-grünen Uni ein weiteres der „harten“ Fächer zu gründen: Die Ingenieurwissenschaften. Wahrscheinlich bekommt Oldenburg einen Studiengang Elektrotechnik.

Zwar hat die Strukturkommission den Oldenburgern auch Philosophie und Romanistik als neue Fächer zugestanden — Gerhard Harms: „neben Anglistik die zweite EG-Sprache“. Doch im Gegenzug geht es den Erziehungswissenschaften an den Kragen. Der Studiengang Sozialpädagogik soll geschlossen und komplett nach Lüneburg verlagert werden. „Wir werden als Steinbruch behandelt“, beschwert sich Heike Fleßner, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sozialpädagogik. Stellen werden als Verhandlungsmasse für die neuen Fächer genutzt und umverteilt.

Dies widerspricht den Neigungen der StudentInnen. Nach einer Spiegel-Umfrage vom Dezember 1989 stehen die Erziehungswissenschaften, deren Teil die Sozialpädagogik ist, in deren Gunst ganz oben. Im Vergleich zu 29 anderen bundesdeutschen Unis gaben die Oldenburger PädagogInnen ihrem Fachbereich die besten Noten. Der 'Spiegel‘ wollte wissen, ob sich die Studis in ihren Lernburgen wohlfühlen und wie sie die Ausstattung ihrer Fachbereiche einschätzen. Die Oldenburger Physik hält in ihrer Sparte Platz zwei von 43 Unis, Mathe steht auf Rang drei, aber in anderen der hochgeförderten Naturwissenschaften sieht es schlecht aus. Die Informatik kam nur auf Rang 16 von 20, Chemie auf Rang 25 von 42. Insgesamt landete die Carl-von Ossietzky-Universität in der Spiegel-Umfrage unter 51 Hochschulen auf Platz 20.

Für das gesamte Fächerspektrum einer traditionellen Universität können sich die Studierenden in Oldenburg noch nicht einschreiben: Jura, Medizin und Theologie fehlen heute im Angebot und wahrscheinlich auch noch auf lange Zeit. 1974 begann der Lehrbetrieb mit 2.900 StudentInnen, heute sind es über 11.000. Die Ausstattung der Fachbereiche hat mit dieser sprunghaften Entwicklung nicht Schritt gehalten. Insgesamt bevölkern jetzt doppelt soviele Studies die Seminare, wie offiziell Plätze vorhanden sind, in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sogar dreimal soviele. Trotzdem ist die Atmoshäre oft noch recht familiär und die Studiengruppen sind klein.

Mit der von der Uni ausgehenden Wirtschaftsförderung hat es bisher nicht so richtig geklappt und von einem Wissenschaftspark, wie er rund um die Bremer Hochschule existiert, können die Oldenburger nur träumen. Doch noch 1991 soll ein großer Schritt getan werden, um der friesischen Wirtschaft, die durch Landwirtschaft und Mittelstand geprägt ist, den entscheidenden High- Tech-Kick zu geben. „Offis“ nennt sich das neue Informatik- Institut, das gerade aufgebaut wird. Der Name steht für „Oldenburger Forschungs- und Entwicklungsinstitut für Informatikwerkzeuge und -systeme. Die Informatiker wollen der Wirtschaft in der Weser-Ems-Region spezielle Computerprogramme zur Verfügung stellen. Über 17 Millionen Mark will die Landesregierung ab 1992 in das High-Tech-Institut investieren. Im Endeffekt sollen 150 Leute bei Offis arbeiten.

Angesichts derartiger Dimensionen und Mitarbeiterzahlen kann Horst Harder von der „Kooperationsstelle Universität— Gewerkschaften“ nur registrieren, daß seine Institution ein „Alibi“ ist. Horst Harder ist einziger wissenschaftlicher Mitarbeiter zu gleich sein eigener Chef. Außer ihm arbeitet in der Kooperationsstelle noch eine Sekretärin. Die beiden sind ein Relikt der universitären GründerInnenjahre. Hier lebt der Anspruch weiter, Lohnabhängige und StudentInnen zusammenzubringen und den ArbeitnehmerInnen mit wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Interessenvertretung zu helfen.

Während viele Ansprüche aus der Sturm- und Drangperiode der Mitte der 70er Jahre abgeschliffen wurden oder sich als unrealistisch entpuppten, geht eine Forderungen Ende April in Erfüllung: Die Uni wird endlich den Namen „Carl-von Ossietzky- Universität“ tragen können. Nach dem Regierungswechsel von schwarz-blau-gelb zu rot- grün, wird der Landtag dann ein Gesetz beschließen, das den Universitäten freistellt, ihren Namen zu wählen. Hannes Koch