Die neue First Lady von Heidelberg

In den höchsten kommunalpolitischen Ämtern sind Frauen rar. Beate Weber ist eine der wenigen, die in diese Herren- runden eingedrungen ist. Seit gut hundert Tagen ist sie Oberbürger- meisterin in Heidelberg. Die Sozial- demokratin aus der Generation der EnkelInnen läßt sich nicht so leicht über den Tisch ziehen. Mit Sachverstand und weiblichem Charme will die Umweltexpertin frischen Wind ins Rathaus bringen.  ■ Von Ulrike Helwerth

Die Attraktion des Abends läßt auf sich warten: „Die Beate kommt später, weil sie sich besonders viel Zeit für eine Bürgerinitiative genommen hat“, bittet der Vorsitzende um Geduld. Auf der Tagesordnung der Heidelberger SPD-Jahreshauptversammlung steht: „Bericht der Oberbürgermeisterin.“ Denn die ersten 100 Amtstage liegen hinter der neuen „First Lady am Neckar“.

Was reizt Beate Weber an ihrem Amt? „Fast alles.“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. „Es reizt mich, Fäden in der Hand zu halten“, sagt sie, lacht und läßt ihre hellen Augen blitzen. „Frischen Wind“ und ein „menschlicheres Rathaus“ hatte sie im Wahlkampf den HeidelbergerInnen versprochen. Die meisten, immerhin 55,5 Prozent, nahmen das Angebot der SPD-Kandidatin an — heilfroh, den alten OB Reinhold Zundel, den „Neckar-Napoleon“, endlich los zu sein. Nun ist die 47jährige die erste Oberbürgermeisterin in Baden- Württemberg, wird als Vorsitzende des Gemeinderates und Chefin der Stadtverwaltung die Heidelberger Geschicke für mindestens acht Jahre lenken. Und die Sozis freuen sich, daß sie endlich das Rathaus zurückerobert haben.

In der SPD ist Beate Weber nicht irgendwer. 1975 wurde sie immerhin in den Parteirat gewählt. Sie ist eine der typischen Sozialdemokratinnen, die sich Gleichberechtigung auf ihre Fahnen geschrieben haben und mit Tüchtigkeit und Energie einen Platz in den mittleren und oberen Rängen eroberten. Und wer sind Beate Webers Vorbilder oder MentorInnen? „Brauch' ich die?“ kontert sie leicht irritiert, nennt aber dann Katharina Focke, „eine ganz tolle Frau, die auch noch mit Sechzig unglaublich lebendig, aufmüpfig und ungeduldig gewesen ist. Und ich hoffe, daß ich auch so werde.“

Wach und selbstbewußt tritt sie auf — im Augenblick Spitzbübin und gleich darauf wieder Dame. Ob auf der Straße, in der Stadtverwaltung oder im Gemeinderat, immer fallen zuerst die Worte „charmant“, „gewinnende Art“, wenn die Rede auf die neue Chefin kommt. „Sympathe Weber“ — der Lapsus linguae stammt aus dem Wahlkampf, als auch die Grün-Alternative Liste (GAL) sich für „die sympathische Beate Weber“ stark machten.

Charme und Offenheit sind zweifellos ein Kapital, das sie gewinnbringend für sich einzusetzen weiß — aber nicht das einzige. Die Frau ist helle und läßt sich nicht so leicht über den Tisch ziehen. Ihr reizendes Lächeln kann blitzschnell in ungehaltenes Stirnrunzeln oder Kühlheit umschlagen, wenn man ihr dumm kommt. Etwa mit den im Wahlkampf häufig geäußerten Zweifeln, ob sie denn für das hohe Amt der OB auch kompetent genug sei. „Eine völlig unmögliche Frage“, empört sie sich, „die so nur einer Frau gestellt wird. Einem Mann mit meinen Qualifikationen wäre das nie passiert.“

Beate Weber bringt in der Tat eine ganze Menge Voraussetzungen für ihren neuen Job mit. Mit „ihrer“ Stadt ist sie seit der Kindheit vertraut, hat dort studiert, war bis 1979 Lehrerin. 1975 wurde sie für die SPD in den Heidelberger Gemeinderat gewählt, kennt also die Stadtverwaltung von innen. Im gleichen Jahr wurde sie Mitglied im Parteirat der SPD und gilt als ein Schützling von Willy Brandt. 1979 wurde sie Abgeordnete im Europaparlament, lernte, mit dem EG-Apparat und europäischen Industrieverbänden umzugehen. Jahrelang war sie dort Vorsitzende des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz und kämpfte gegen die „dicke Luft in Europa“. Frischen Wind statt dicker Luft soll es nun auch in Heidelberg geben — und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Locker wie in der Gesamtschule

Fast ein Vierteljahrhundert lang hatte „Kurfürst Reinhold“ der alten und einst heftig studentenbewegten Unistadt als „Stadt-Sheriff“ Law and order beigebracht, bis fast Grabesruhe eingetreten war. Die Stadtverwaltung tanzte nach seiner Pfeife, und den Gemeinderat hielt er, wenn es sein mußte, mit dem Gesetz im Zaum. Nicht nur die GAL, seit 1984 im Gemeindesrat und drittstärkste Fraktion, kann einen ganzen Ordner „Rechtskräche mit Zundel“ vorweisen. Kurzum, im Gemeindesrat ging's manchmal zu „wie im Krieg“, von menschenfreundlichem Rathaus oder BürgerInnennähe war schon lange keine Rede mehr. Da trat Beate Weber an und gewann die Wahl. In der Verwaltung und im Gemeinderat ist nun Erleichterung zu spüren. Der kooperative Führungsstil der neuen Chefin scheint wieder mehr Eigenverantwortung und Kreativität bei MitarbeiterInnen freizusetzen, auch wenn Beate Weber ihnen einiges abverlangt. Zwei der treuesten und mächtigsten Zundel-Zöglinge ist sie auf elegante Weise losgeworden. Dem ehemaligen Leiter des Zentralbüros überantwortete sie das wenig bedeutende „Amt für Verteidigungslasten“, ihr einstiger Rivale im Wahlkampf und Zundel-Kronprinz, Stadtkämmerer Wolfgang Weber, avancierte „im besten Einvernehmen“ zum Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Neckar. Nachdem sie zuvor noch „sehr, sehr gut mit dem Wolfgang“ den Haushalt 1991 fertig gemacht hatte. Andere zur Zustimmung und zum Mitmachen zu bewegen, „fällt mir als Frau sicher leichter,“ sagt sie.

„Wie im Kühlschrank“ ging es unter Zundel im Gemeinderat meist zu. Beate Weber hat ihn aufgetaut. Als erste Amtshandlung ließ die ehemalige Gesamtschullehrerin die Tische der StadtparlamentarierInnen im ehrwürdigen Plenarsaal zu einem Hufeisen umstellen: „Weil es sich so besser miteinander sprechen läßt“. Da sitzen nun die 28 Mannen und 12 Frauen, von CDU (12), SPD (11), GAL (8), von der Freien Wählervereinigung FWV (5), FDP (2), Liberale Demokraten LD (1) und Reps (1), trinken Kaffee, löffeln Joghurt oder lutschen Bonbons während der Sitzung. Da wird auch mal gescherzt und gelacht. CDU-Chef Raban von der Malsburg, dem seine Fraktion beinahe das Vertrauen entzog, weil er der frischgewählten Oberbürgermeisterin mit einem Wangenküßchen gratuliert hatte, zwinkert seiner einstigen Konkurrentin im Wahlkampf neckisch zu. Die zwinkert zurück. Später wird Herr von Malsburg darauf drängen, daß die neue Chefin („In manchen Sachfragen ist sie quälend unbestimmt“), bei jeder Abstimmung ihre eigene Position mit Handzeichen deutlich macht. Sie verspricht es, hebt jetzt immer brav die Hand und bemüht sich „alles im Griff, auch bei unvorhergesehenen Zwischenfällen“ zu haben. Bleibt auch gefaßt, als ein Bürger in der Fragestunde sie ermahnt, zwei Bretter ersetzen zu lassen, die „der Bank um die Linde auf der Molkenkur“ verlustig gegangen sind. Sie will sich auch darum kümmern. Schließlich hat sie allen BürgerInnen ein „offenes Ohr im Rathaus“ versprochen. Und die nehmen sie beim Wort. Kommen selbst vorbei oder schreiben Waschkörbe voll Briefe, „die alle beantwortet werden“, wie sie versichert. Zu ihrer Entlastung hat sie nun nach skandinavischem Vorbild eine „Ombudsfrau“ bestellt, die sich als Mittlerin der Anliegen der BürgerInnen annehmen und sie an die Stadt weitertragen soll.

Zankapfel Umweltpolitik

Frischer Wind tut Heidelberg auch wörtlich not. Zwar hat die Stadt selbst nur rund 136.000 EinwohnerInnen, aber wenn sich der Verkehrsverein nicht verzählt hat, kamen allein vergangenes Jahr 3,5 Millionen Tagesgäste aus aller Welt in die altdeutsche Idylle am Neckar und verloren dabei nicht nur ihr Herz sondern auch Unmengen von Müll.

Die „Tourismusdebatte“, Müllvermeidung, Verbannung des Individualverkehrs aus der Altstadt und Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel stehen daher ganz oben auf Beate Webers Prioritätenliste. Als größten Erfolg ihrer bisherigen Amtszeit wertet sie, daß Heidelberg den Zuschlag bekommen hat für ein europaweites Umweltprojekt der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa). Modellhaft soll Energie gespart und dadurch Schadstoffe in der Luft gemindert werden, gedacht wird etwa an ein ganzes neues Wohngebiet aus Energiesparhäusern, an Elektrobusse, an ein Wasserkraftwerk am Neckar. Nach ihren Plänen gefragt, ist sie kaum zu bremsen. Sicherer für Kinder muß die Stadt werden, ein Kinderbericht ist bereits in Auftrag, mehr und menschenfreundlichere Wohnungen müssen her, die eingeschlafene städtische Kultur soll neu belebt werden. Auch das Stichwort „Frauenpolitik“ fällt. Daß sie damit Punkte machen kann, merkte Beate Weber spätestens im Wahlkampf. Denn ihren Sieg hat sie nicht zuletzt den Frauen in der Stadt zu verdanken.

Nicht nur ihre Parteigenossinnen von der ASF (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen) warfen sich für sie ins Zeug, auch das breite Bündnis der „Arbeitsgemeinschaft Heidelberger Frauenverbände und -gruppen“, machte sich für eine Frau auf dem OB-Sessel, letztlich also für sie, stark.

Frauenpolitik steht nicht oben im Programm

Eine Feministin ist Beate Weber allerdings nicht, und Frauenpolitik ist nicht ihr Spitzenreiter — aber sie ist offen und „lernwillig“. Hat sie doch als sehr junge Mutter — ihre Tochter ist inzwischen 25 Jahre alt — selbst erlebt, wie schwierig es für eine Frau sein kann, ein Kind aufzuziehen und gleichzeitig einem Beruf nachzugehen. Bessere Kinderbetreuungsangebote, vor allem mehr Kindertagesstätten hält sie für unerläßlich. Kaum im Amt legte sie ihre Stimme für das lang geforderte „Frauennachttaxi“ in die Waagschale. Im neuen Haushalt 1991, in dem nun alle Gelder für Frauenprojekte unter einem Titel zusammengefaßt wurden, taucht das „Frauennachttaxi“ jedoch nicht auf. Dagegen steht das Wort der OB: „Dafür finden wir schon noch Geld.“ Im Herbst soll das Projekt startklar sein, hofft das Heidelberger Frauenbüro, das unter OB Zundel nie über den Status einer kompetenzlosen Beratungsstelle hinauskam. Beate Weber aber hat im Wahlkampf versprochen, eine Frauenbeauftragte als Amtsleiterin ins Rathaus zu holen — mit eigenem Öffentlichkeitsrecht. Das hat sie auch. Mit einen Schönheitsfehler allerdings: Im Haushalt 1991 ist zwar eine Amtsleiterin ausgewiesen, aber weder eine Sachbearbeiterin noch eine Sekretärin. „Blutleer“ sei die Frauenpolitik von Beate Weber bisher, bemängeln die GAL- Frauen. Zwar packe die OB viel an, habe bisher aber keine eigenen Akzente gesetzt. Wenn von außen kein Druck käme, passiere nichts, heißt es nach Ablauf der 100-tägigen „Schonfrist“ in der Fraktion. Enttäuscht sind die Grün-Alternativen über die Umweltexpertin auch besonders wegen eines Vertrags zur Abfallbeseitigung. Konzeptionslos sei er, setze auf noch mehr Verbrennung anstatt auf Vermeidung.

Übel genommen hat ihr nicht nur die GAL einen Deal mit der Firma ABB (Asean Brown Bowery). Für schlappe 8,5 Mio bekam die den Zuschlag für ein ansehnliches städtisches Grundstück, auf dem ein 220 Millionen teures Forschungsprojekt entstehen soll. „Der Potsdamer Platz von Heidelberg“ heißt es nun. Beate Weber ist sauer. Der Vertrag sei längst vor ihrer Amtszeit vom Notar abgeschlossen worden, sie hätte ihn nur noch so unterschreiben können. „Altlasten“, rechtfertigt sie sich. Anderer Hinterlassenschaften aus der Zundel-Ära entledigte sie sich einfacher. Strafverfahren gegen HausbesetzerInnen ließ sie einstellen. Jungen Leuten aus der gleichen Szene, die sich zu einem Verein „Autonomes Zentrum“ zusammengeschlossen hatten, überließ sie für eine „Übergangszeit“ eine alte Druckerei zur kulturellen Nutzung. CDU- Fraktionschef Raban von der Malsburg echauffierte sich und warnte „eindringlich vor der Hamburger Hafenstraße.“ Das lokale Monopolblatt 'Rhein-Neckar-Zeitung‘, einst als Zundels Hauspostille verschrien, schlachtete nicht nur dieses Thema weidlich aus. „Bevor ich morgens die Zeitung hole, überlege ich immer, was ich wieder falsch gemacht haben könnte,“ das klingt ironisch, nicht unsicher. Was empfindet sie als größten Fehler in ihrer bisherigen Amtszeit? Viel fällt ihr dazu nicht ein. „Das Schwerste ist, daß ich nicht alles gleichzeitig machen kann“ — trotz Arbeit bis spät in die Nacht. „Aber wenn's Spaß macht, soll man die Stunden nicht zählen.“