KOMMENTARE
: Das Schweigen der Intellektuellen

■ Warum den streitbaren Geistern in Deutschland zu den Kurden nichts einfällt

Monatelang stritten sie erbittert über Krieg und Frieden, Moral und Völkerrecht, über die Werte des freien Westens und die Heuchelei des „US-Imperialismus“. Sie brillierten mit ungewöhnlichen Thesen, wanderten von Talkshow zu Talkshow und füllten mit kühnen Essays die Spalten großer Zeitungen. Nun schweigen die Intellektuellen. Pünktlich zum Ende der Mutter aller Schlachten verstummte die Kakophonie der philosophisch-politischen Grundsatzbekenntnisse. Noch Wochen nach Beginn des Massenmordes an den irakischen Schiiten und dem Völkermord an den Kurden verharren prominente deutsche Befürworter und Gegner des Golfkriegs in einer emotionalen Schutzzone.

Mitglieder der Friedensbewegung, die am vergangenen Samstag zum ersten Mal in nennenswerter Zahl gegen Saddams Genozid-Politik protestierte, gaben eine „gewisse Erschöpfung“ und eine angemessene Einarbeitungsfrist in die „komplexe Problematik“ als Grund ihrer Zurückhaltung an. Viele Symphatisanten des alliierten Waffeneinsatzes schweigen, während sie eben noch den Krieg als Mittel zur Durchsetzung internationalen Rechts und zum Schutz vor Gewaltherrschaft propagierten. Für beide Seiten gilt: die Reaktionsmuster aus der Golfkriegsdebatte funktionieren nicht mehr. Und das, obwohl sie gerade jetzt auf die Probe gestellt werden.

Das Massaker Saddams an der eigenen Bevölkerung müßte all jene zu tiefem Nachdenken zwingen, die den Golfkonflikt mit einer Fortführung des „friedlichen“ Embargos — freilich unter Inkaufnahme Tausender zu Tode gefolterter Kuwaitis — lösen wollten. Das Stillhalten der USA hingegen, das amerikanische Kommentatoren treffend als „Beihilfe zum Völkermord“ charakterisierten, irritiert die Verfechter des kategorischen Imperativs, das Völkerrecht notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen.

Warum haben nicht schon vor vier Wochen Zehntausende für den — auch militärischen — Schutz der irakischen Schiiten und Kurden vor Saddams Todeskommandos demonstriert? Warum hat sich bisher kein Anhänger der These Saddam = Hitler bereitgefunden, öffentlich die Konsequenz zu fordern ? Warum können die deutschen Freunde Amerikas Präsident Bush nicht genauso hart kritisieren wie amerikanische Staatsbürger?

Die deutsche Golfkriegsdebatte erweist sich im nachhinein als Ritual der Selbstbezüglichkeit, in dem Lagerdenken allemal über die Fähigkeit triumphiert, Irrtümer einzugestehen. Die Aufgabe des Intellektuellen, auch die bittere Erkenntnis zu artikulieren, verschwindet hinter der Bequemlichkeit vertrauter Überzeugungen. Reinhard Mohr