100.000 Tonnen Öl auf Sand gesetzt

■ Supertanker im Golf von Genua gesunken/ 60.000 Tonnen Rohöl bereits ausgelaufen/ Bei zweitem Schiffsunglück am Mittwoch wäre es fast zur Kollision mit einem Kriegsschiff gekommen

Genua (taz/afp/dpa) — Riesige Luftblasen blubberten an die Wasseroberfläche, als der 200 Meter lange zypriotische Öltanker „Haven“ gestern morgen im Golf von Genua unterging. Wenig später erlosch die gigantische Rauchsäule, die seit dem Unglück am vergangenen Donnerstag aus dem Golf von Genua in die Luft geragt hatte. Statt ihrer überzog dichter schwarzer Rauch, der noch aus Kilometern Entfernung sichtbar ist, die Szenerie. Mit in die Tiefe sanken mindestens 80.000 Tonnen iranischen Rohöls — genug, um die italienische Riviera, die Küsten Korsikas, Monacos und Südfrankreichs mit einer Ölschicht zu überziehen. Weitere 60.000 Tonnen Öl waren zuvor bereits ausgelaufen und schwappten gestern als 20 Kilometer langer und zwei bis drei Kilometer breiter Ölteppich in bedrohlicher Nähe der Küste.

Am Morgen war es an Bord der „Haven“ zu einer dritten Explosion gekommen. Danach sank das havarierte Schiff auf den rund 60 Meter tiefen Meeresboden. Experten hatten befürchtet, daß dabei der Schiffsrumpf bersten und größere Menge Öl auslaufen könnten. Mitglieder eines italienischen Greenpeace-Teams überflogen den Unglücksort im Hubschrauber während das Schiff sank. Sie konnten nicht feststellen, daß anschließend der Ölteppich an der Wasseroberfläche beträchtlich wuchs. Offensichtlich ist das Boot langsam auf den 60 Meter tiefen Seeboden gesunken und dort — relativ weich — auf Sand gelandet. Falls das Wrack in dieser Position liegenbleibt und nicht von Wellengang oder anderen Erschütterungen bewegt wird, besteht nach Auskunft von Greenpeace die Hoffnung, daß die im Schiffsinneren befindlichen 56 Tanks solange standhalten, bis das Öl abgepumpt wird.

Doch zu Optimismus gab es trotzdem keinen Anlaß. Allein die bereits ausgelaufene Ölmenge, von der nur ein Teil verbrannte, ist größer als die aus der „Exxon Valdez“, die 1989 an Alaskas Gestade schwappte. Die italienischen Behörden rechnen damit, daß möglicherweise schon heute Vormittag der Ölteppich die nur 1,8 Kilometer entfernte Küste erreicht. Erste feuergehärtete Ölklumpen wurden bereits am Samstag in den Badeorten Arenzano und Savona angeschwemmt, obwohl Küstenschiffe kilometerlange Plastikbarrieren ins Wasser gelassen hatten.

Angesichts der drohenden Ölpest hatte die italienische Regierung am Samstag den Notstand über die Gegend von Genua verhängt. Damit wurde dem am selben Tag ins Amt eingeführten Minister für Zivilschutz die Leitung für sämtliche Maßnahmen vor Ort übertragen. Die Angst der Bevölkerung hat das jedoch nicht geschmälert. Seit Donnerstag, als der Tanker aus bislang völlig ungeklärten Gründen explodierte und in Flammen aufging, stehen Menschenmengen an den Stränden und verfolgen das Geschehen. Viele in dieser Gegend leben vom Tourismus, andere vom Fischfang. Sie befürchten, daß jetzt ihre Lebensgrundlage zerstört ist. Auch erste Klagen über gesundheitliche Folgen der Katastrophe werden bei diesen Treffen laut. Eine Mutter am Hafen von Arenzano fragt die Carabinieri tränenüberströmt, ob das Feuer ihrem dreijährigen Sohn schaden könne. „Er hat rote Aute, er hustet. Was soll ich tun?“

Unklarheit herrschte gestern auch bei dem anderen Tankerunglück vor der italienischen Westküste. Vor dem nur wenige Kilometer entfernten Livorno steht der am Mittwoch von einer Passagierfähre gerammte Tanker weiterhin in Flammen. Das Schiff hat noch 80.000 Tonnen Rohöl an Bord. Ein drei Quadratkilometer großer Ölteppich treibt von dort an die Küste der Toskana.

Untersuchungen über das Unglück, bei dem am Mittwoch 138 Menschen in der Fähre „Moby Prince“ ums Leben kamen, ergaben, daß gute Sicht, und nicht — wie ursprünglich angenommen — Nebel herrschte. Das Handelsministerium hatte „menschliches Versagen“ als vermutliche Ursache des Unglücks angegeben. In Livorno wurde gestern bekannt, daß die „Moby Prince“ kurz vor ihrer Kollision mit dem Supertanker haarscharf an einem amerikanischen Kriegsschiff vorbeigeschrammt war, das dort vor Anker lag. Das Kriegsschiff war gerade aus dem Einsatz am Golf zurückgekommen und vollgeladen mit hochexplosiven Waffen. dora