FRAUIRENEIMSTRASSENEINSATZ
: Vom Matterhorn zur Suppendose

■ Kleines Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Straßenfrage

Nie war die Gelegenheit so günstig wie heute, endlich— mit gut dreißig Jahren Verspätung — auch die Straßennamen auf den Stand der Kunstgeschichte zu bringen. Ohnehin verbieten es neueste Berliner Bestimmungen, fürderhin noch Doppelungen auf den allbezirklichen Straßenschildern bei Neubenennungen zuzulassen. Und da die Promis dieser Welt schon weitgehend verbraucht sind und auch Fauna und Flora schon fast vollständig am Pfahl hängen, besteht dringender Bedarf an neuen Namen. Nur, welcher?

Zunächst der Ist-Zustand: Vom Straßenschild winkt gegenwärtig vor allem die Vergangenheit. Nicht nur, daß die Persönlichkeiten, die durch bloßes öffentliches Name-Dropping am Masten geehrt werden sollen — jedenfalls nach BRD-Recht —, grundsätzlich alle längst tot sind. Auch die Ideen, die die Namen aufs Schild hoben, sind längst überholt: nämlich Genievergötterung als Symptom des Idealismus (Gott-Goethe-Straße), also des 19. Jahrhunderts, bzw. Personenkult als Äußerungsform des realen Sozialismus des 20. Jahrhunderts (Genosse-Stalin-Allee). Daß die Genies nun mit der Zeit böse bzw. schlecht werden und ab und zu durch gute bzw. frische ersetzt werden, spielt dabei keine Rolle. Abgesehen davon, daß man sich in der Philosophie und in den Sprachwissenschaften ja bekanntlich auch schon längst von der Vorstellung verabschiedet hat, eine Buchstabenkombination hätte irgend etwas mit dem Wesen des von ihr Bezeichneten zu tun.

Entsprechend rückständig auch die prominenzfernen Straßennamen: Hier herrscht immer noch das Schöne-Gute-Wahre in der Straße der Freundschaft (auch wenn sie deutsch-sowjetisch ist) bzw. biedermeierliche Beschaulichkeit mit Matterhornstraße, Hirschwinkel oder Gänseblümchenweg. Mit einem Wort: Nichts kommt aufs Schild, was nicht auch als Gipsbüste auf dem Klavier stehen bzw. als Ölschinken über dem Sofa hängen könnte.

Doch wer duldet schon noch Hirsche über der Sitzgruppe und Beethoven auf der Heimorgel? Falls dort überhaupt noch irgendwelche Ikonen Platz finden, dann doch wohl eher die Andy Warholschen Suppendosen!

Wir fordern daher auch auf dem Straßenschild ultimativ eine Erneuerung. Berlin sollte hier quasi Verkehrszeichen setzen! Wo wird die Objektwelt im öffentlichen Raum geehrt? Wo sind die Suppendosen-Straßen, Stuhl-Reihen, Brennholz-Wege? Oder wenigstens die Auto-Allee? Wo dem Auto eine Ikone setzen, wenn nicht auf der Straße?!

Und bitte, wenn es schon Personennamen sein sollten, dann doch wohl nur gegen Geld. Entsprechend dem Warholschen Konzept, wonach im Fernsehen jeder für fünf Minuten ein Star sein kann, muß auf der Straße gelten: Jeder für fünfhundert Meter ein Genie! Wenn sich reiche Leute, anstatt sich wie früher von Warhol im Siebdruck porträtieren zu lassen, nun auf einem Straßenschild gegen Höchstgebot verewigen könnten — welch ungeahnte Geldquellen für die Straßenreparatur hier alsbald sprudelten!

Mit einem Wort: Der Pop-art eine Gasse!

Gabriele Riedle