Überlebensgroß Herr Kroetz

■ Zur Uraufführung von „Bauerntheater“ in Köln

Johlendes Gelächter anfangs, schweigende Betroffenheit am Ende, Bravos beim Applaus. Ist Kroetz, der totgesagte, wiederauferstanden? Oder verkauft hier einer noch seinen eigenen Kadaver?

Seit Klatschreporter Baby Schimmerlos seine Rolle im Leben als 'Bild‘-Reporter Franz Xaver Kroetz weiterspielte, ist der Gegenstand des Theaterautors Kroetz: er selbst. „Jetzt fehlt mir noch ein Stück von mir“, drohte er schon 1985 an. Der produktivste deutsche Stückeschreiber ließ sich nicht lumpen und lieferte bisher drei autobiographische Grotesken. Die Theater blieben skeptisch gegenüber dieser zotengeilen Selbstbespiegelung eines Ich-Verrückten. Der Monolog Zeitweh wurde abseits von der Welt am Bodensee uraufgeführt und verschwand. Der abendfüllende Fünfakter Der Dichter als Schwein ruht unaufgeführt zwischen den Buchdeckeln der Neuausgabe seiner Stücke. Danach bearbeitete „das Schwein“ denselben Stoff, sich selbst, nochmal, und heraus kam Bauerntheater, ein spielbares Konzentrat aller Obsessionen unseres Dichters.

Die Story ist so hanebüchen krumm und flunderplatt, daß man sie erzählen muß. Franz Schritt, der Dichter des modernen Bauerntheaters, verbringt mit seiner alten Mutter Weihnachten. Die Nachbarin kommt zu Besuch, er schläft mit ihr. Ein bettnässender Freund schaut auf der Suche nach einer trockenen Matratze auch mal rein, schläft mit der Mutter. Des Dichters Ex-Frau kommt, verunstaltet durch die Schönheitschirurgie, dazu. Dann probt man des Dichters neues Stück, mit der Mutter in der Hauptrolle. In die Probe platzt der ältere Sohn des Dichters, ein Stricher, schwul und positiv, stöhnt, weil ein Kunde ihm Wick vaporub in den Darm geschmiert hat, und erhängt sich auf dem Klo. Auf der Leiche seines Sohnes will dann der Dichter den „einen guten Satz“ in die Maschine tippen.

Den Dichter aus diesem Stück mit Herrn Kroetz persönlich zu verwechseln, ist keine böse Unterstellung, sondern so beabsichtigt. Im Anhang des Stücktextes ist eine „bäuerliche Posse“ mit dem Titel Das Schaf im Wolfspelz abgedruckt, als Autor wird „Franz Landau“ angegeben. In Bauerntheater probt der Dichter eine Szene dieses Werkes. „Franz Landau“ ist nicht nur das Pseudonym Franz Schritts, sondern war auch das von Kroetz, als er 1969 beim Tegernseer Bauerntheater arbeitete. Und die Probleme des Verhältnisses von Ästhetik und Politik, über die der Bauerntheater-Dichter am Anfang in ununterbrochenem Redefluß nachgrübelt, das waren einmal die Probleme des engagierten Autors Kroetz.

So unglaublich grob und hemmungslos vulgär, wie dieser Text sich gibt, ist er nur bei rasender Geschwindigkeit erträglich. Kroetz weiß das und schreibt vor: „ein schnelles Stück“. Die Kölner Uraufführung hält sich mit Bravour daran. Der Dialog wird als Simultanmontage von Monologen heruntergefetzt, so daß man nur einen Bruchteil der vielen Kalauer und wenigen Pointen verstehen kann. Im Vorwort fordert der Autor für sein Stück, „den Realismus antinaturalistisch (zu) machen“, und fragt: „Aber wer kann das schon bei uns?“ Torsten Fischer und seine Kölner Truppe können es. Sie spielen das Stück, als sei's verfaßt von Thomas Bernhard und inszeniert von Dario Fo. (Und das ist eine angemessenere Mischung als die von Gustav Gründgens und Woody Allen, die Kroetz selbst empfiehlt.) Traute Hoess als Mutter und Dirk Bach als Bettnässer beherrschen virtuos den Stil der schnellen, kalkulierten Übertreibung.

Daß das distanzierte Komödienlachen in lähmende Ergriffenheit umschlägt, wird nicht zuletzt bewirkt durch den gekonnten Tempowechsel. Der überdrehte Wahnsinn des Anfangs ändert sich langsam zu zäher Peinlichkeit. Wenn des Dichters Sohn (Nicki von Tempelhoff) von seinem mißglückten Einsatz zurückkommt, erfriert das Lachen im Publikum, trotz der absurden Lächerlichkeit seines Leidens. Gespielt wird das mit einer Verve, die, wenn es nun pathetisch wird, nichts von der Kraft zurücknimmt, die in dem hysterischen Komödienspiel des Anfangs steckte. Der Dichter schleift den toten Sohn ins Klo, um ihn vor den Kindern zu verbergen. Das kleine Nachbarsmädchen kommt, sieht zwei im Klo und sagt: „Ich weiß, was die da machen. Liebe.“ Scheinbar spielt man das in Köln vom Blatt. Aber immer mit vollem Einsatz. Käme nur der leiseste Verdacht auf, die Inszenierung distanziere sich vom Stück, so wäre Kroetz verloren.

Kroetz will sich an den eigenen Schamhaaren aus dem Sumpf ziehen. Das ist schmerzhaft und kann nicht gelingen. Daß es in Köln für dieses eine Mal scheinbar gelang, ist das Verdienst einer bedingungslos loyalen Inszenierung eines Stückes, das jeden anderen Regisseur desertieren ließe. Gerhard Preußer

Franz Xaver Kroetz: Bauerntheater. Komödie. Regie: Torsten Fischer; Bühne: Herbert Schäfer; Kostüme: Ulrich Schulz. Mit Herbert Knaup, Traute Hoess, Dirk Bach, Nicki von Tempelhoff, Katja Bellinghausen. Kölner Schauspiel (Kammerspiele). Weitere Vorstellungen: am 17., 21., 23., 25., 30. April.