Schade

■ George Tabori inszeniert am Wiener Burgtheater selbst die Uraufführung seines Stücks „Babylon- Blues“

Ob das Burgtheater mit Taboris loser Szenenfolge Babylon Blues glücklich wird, ist zu bezweifeln — verausgabt hat man sich mit dieser Produktion jedenfalls nicht. Dabei trifft Tabori — obwohl als Autor, Regisseur und auch als Nebendarsteller maßgeblich beteiligt — gar nicht die Hauptschuld.

In dem Schadenfreude betitelten Sketch blicken Heinz Schubert und Urs Hefti als Goethe und Schiller, mit Tauben auf den Schultern und von Patina überzogen, vom Sockel ihrer Denkmalwürdigkeit zurück in die Vergangenheit, die ihnen nicht zu Trümmern zerfällt, sondern zu Kalauern und Aper¿us. Die Situation, bereits an sich komisch, wird durch ihre giftigen Bemerkungen über Büchner und Kleist verstärkt — und nochmals durch die Bereitschaft des Publikums, diese Bemerkungen als Anspielungen zu verstehen. Wenn Goethe über Kleists „verbrochenen Krieg“ herzieht, denkt jeder in Wien an Andrea Breths nicht gerade positiv aufgenommene Inszenierung in eben diesem Haus. Geradezu diabolisch wird diese Anspielung sogar, wenn man weiß, daß Babylon-Blues überhaupt nur auf die große Burgbühne geraten ist, weil Breths zweite Produktion wegen Uneinigkeiten mit dem Ensemble geplatzt ist, und die Direktion vor dem Problem stand, wie sie schnell die Spielplanlücke füllen kann.

George Tabori nun ist ein freundlicher alter Mann, der offensichtlich niemandem etwas abschlagen kann, und so mit seinen — eigentlich für den nicht einmal hundert Zuschauer fassenden Lusterboden vorgesehenen — Stückchen auf die Hauptbühne übersiedelt ist, die auf diesem Weg in ein grelles Rampenlicht gerieten, das sie zum Verschmoren, aber nicht zum Aufleuchten brachte.

Übersiedlungen vom Akademietheater oder Lusterboden auf die Burgbühne finden unter der Direktion Peymann viel zu oft statt und sind wohl das große Manko dieser Ära. Wurden bisher die Transferierungen mit dem jeden dramaturgischen Konzeption hohnlachenden Argument der großen Nachfrage gerechtfertigt, könnte es bei Babylon-Blues zu einer gegenläufigen Entwicklung kommen — was sich Tabori, der Lücken-„büßer“, wahrlich nicht verdient hätte, wohl aber seine Sketchs, die am Lusterboden ganz anders rezipiert werden könnten.

Moidele Bickel hat quer über die Bühne eine schmale Brücke gespannt. Ansonsten ist die Bühne weit und leer. Zu oft wurde in letzter Zeit das Theater am und aufs Theater zitiert. Wir wissen: Alles ist Theater. So begegnet Meister Zwi (David Hirsch), der von Ursula Höpfner als zotteligem Hund begleitet wird, einer Schauspieltruppe. Sind diese vom Theater enttäuscht, so propagiert jener das Glück und Glücklichsein als der Weisheit letzter Schluß. Und wie es halt kommt, wenn Schauspieler beisammen sind, nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Man kann nicht anders, man spielt: Minidramen und dramatisierte Scherze, Besinnliches und Kalauer, man bewältigt die Vergangenheit und vergißt sich in Männerwitzen.

Doch alles ist nicht nur Theater, sondern auch alles Probe. In Szenen wie Die letzte Utopie oder Jugendstil tritt ein Bühnenarbeiter auf, der im Programmheft hinter drei Sternchen verborgen ist, auf der Rampe sich aber sofort als der Meister persönlich entpuppt. Tabori macht sich im schwarzen Arbeitsmantel nützlich, indem er so manches Requisit auf die Bühne bringt, aber er gerät auch in so manchen Sketch.

Im Kuß etwa wird die „noch nicht heilige“ Johanna von zwei Engeln bedrängt, doch auf ihre Jungfernschaft zu verzichten — diese sei nicht abendfüllend. Tabori verlangt Julia von Sell in seinem ungarisch-amerikanisch gebrochenen Deutsch vom Helm bis zur Hose alle Kleidungsstücke ab, bis zum Unterhemd. Als er auch dieses fordert, sagt sie: Nein, und er: Schade. Doch solche Altherrenwitze sind rührend im Vergleich zum 'Playboy‘-Witz Und ob: Einem kleinen Mädchen (Sell, diesmal ihr kurzes Röckchen schwingend) erscheint am Abend, an dem sie erfährt, daß es keinen Weihnachtsmann gibt, dieser als richtiger Mann — natürlich von oben kommend. Daß Erich Schleyer nach dem Weihnachtsmann Ödipus' gar nicht verzweifelte Mutter spielt, ist auch keine Entschuldigung.

In seinem eigenen Stück, in eigener Regie als Bühnenarbeiter aufzutreten, der sich letztendlich als Regisseur zu erkennen gibt, indem er signalsiert, das Probenlicht einzuschalten, hat Tabori sichtlich Spaß gemacht und nicht verausgabt. Doch daß er sich neben diesen dramatisierten Kalauern auch noch mit David Hirsch, der wie Taboris stadttheaterliches Alter ego erscheint, Witze erzählen muß, erstaunt doch einigermaßen bei diesem Beckett-Kenner. Wie antwortet doch Wladimir in Warten auf Godot auf Estragons Aufforderung, die Geschichte vom Englänger im Puff zu erzählen: „Hör auf!“

So bleiben nur wenige kleine Lichtpunkte, wie das Aufeinandertreffen des alten Zwi mit seiner eigenen Jugend. Markus Boysens Enthusiasmus bezüglich der kommenden historischen Ereignisse kann der alte David Hirsch nicht teilen, weil er es rückblickend besser weiß — doch er kann den „anderen“ nicht warnen: „Indem ich schwieg, log ich.“ Von der babylonischen Sprachverwirrung ist auch das Schweigen nicht ausgenommen. Dieter Bandhauer

George Tabori: Babylon-Blues oder wie man glücklich wird ohne sich zu verausgaben. Regie: George Tabori. Bühne: Moidele Bickel. Mit Heinz Schubert, Urs Hefti, Ursula Höpfner, Julia von Sell, Markus Boysen. Burgtheater Wien.