Giftiger Cocktail

■ Das Mittelmeer wird wie kein anderes verseucht

Ein schauriges Bild: Der Leib des Tankers versinkt unter der dunklen Rauchsäule im Meer. Wer das Schauspiel vor Ort oder am Bildschirm verfolgt, weiß, was das bedeutet: Wenn es nicht gelingt, die verbliebenen 90.000 Tonnen Öl aus dem Schiffsrumpf zu pumpen, wird sich das Ausmaß der Katastrophe im Golf von Genua mehr als verdoppeln. Schon jetzt — bisher sind 50.000 Tonnen des „schwarzen Goldes“ ausgeströmt — handelt es sich um das schwerste von inzwischen etwa 100 registrierten Ölunfällen im Mittelmeer. Doch es gibt noch andere Zahlen.

Nach einer Untersuchung der Weltbank fließen Jahr für Jahr 650.000 Tonnen Öl, sozusagen routinemäßig, ins Mittelmeer. Greenpeace geht davon aus, daß dem mediterranen Ökosystem jährlich sogar um die zwei Millionen Tonnen zugemutet werden. Das ist ein Drittel der Menge, die insgesamt in die Weltmeere leckt. Es stammt aus allen Stationen des Öltransports durch das vergleichsweise kleine Fast-Binnenmeer. 250 bis 300 Öltanker bewegen sich ständig zwischen Suezkanal und Gibraltar, Piräus und Genua, das sind 35 Prozent der Weltöltransporte. 15.000 mal legen die Riesenschiffe an der italienischen Küste pro Jahr an und ab. Nur 17 der insgesamt 52 Ölterminals in Italien verfügen über adäquate Entsorgungs- und Reinigungsanlagen für die Transportschiffe. Die Folge: Nicht nur beim Be- und Entladen fließen Reste der Fracht in die Häfen; auf hoher See, soweit man davon bei einer Gesamtfläche des Mittelmeers von drei Millionen Quadratkilometer sprechen soll, werden leere Öltanks regelmäßig illegal gereinigt. Die Rest-Tonnage fließt ins Wasser.

Das Öl ist nur einer von unzähligen Stoffen, die das Mittelmeer seit Jahrzehnten zur Kloake machen. 85 Prozent der Abwässer von 300 Millionen Anwohnern und 100 Millionen Touristen in den Sommermonaten fließen immer noch ungeklärt ins Meer. Zusammen mit Pestiziden und den Giftmüllfrachten der Industrie, die entweder direkt oder über die trübe Brühe der Flüsse oder den sauren Regen das Wasser belasten, bilden die Fäkalien einen Cocktail, der immer mal wieder die küstennahen Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringt. Für öffentliche Aufregung sorgt das alles nur, wenn sich die Katastrophenmeldungen bis in die Regionen herumsprechen, wo die Touristen hinkommen. So etwa im Sommer 1989, als eine Algenpest an der Adria, ausgelöst durch hoffnungslose Überdüngung, die Besucher vertrieb.

Daß sich die Lage dramatisch zuspitzt, ist nicht nur in Italien lange bekannt. Eine Mittelmeer- Schutzkonferenz der Weltumweltorganisation UNEP kreierte bereits im Januar 1975 den sogenannten „Mittelmeer-Aktionsplan“. Ziel: die Entwicklung internationaler Regelungen zum Schutz des siechen Meeres und zur Untersuchung und Kontrolle der Emissionen. Der Effekt in den Folgejahren war praktisch Null, obwohl bereits ein Jahr später, benannt nach dem damaligen Ort der Tagung, die sogenannte „Barcelona-Konvention“ von der EG und 16 anderen Staaten ratifiziert wurde. Im September 1985 trafen sich Vertreter der Unterzeichnerstaaten, um die zehnte Wiederkehr der Konvention zu begehen. Dabei wurden die früheren Vorgaben präzisiert und Zielvorstellungen für die Sanierung des Mittelmeers bis 1995 formuliert. Apropos: Diese Konferenz fand in Genua statt. Gerd Rosenkranz