Vor der Riviera tickt eine Ökobombe

■ Der Ölteppich im Golf von Genua hatte gestern bereits eine Ausdehnung von 25 km2 erreicht. Italiens Umweltminister hofft nun, daß das im Rumpf des gesunkenen Tankers "Haven" verbliebene Rohöl...

Vor der Riviera tickt eine Ökobombe Der Ölteppich im Golf von Genua hatte gestern bereits eine Ausdehnung von 25 km2 erreicht. Italiens Umweltminister hofft nun, daß das im Rumpf des gesunkenen Tankers „Haven“ verbliebene Rohöl rechtzeitig abgepumpt werden kann. Die Saison an der Riviera dürfte allerdings gelaufen sein.

Am meisten fürchtet Carlo Buccelli deutsche Gazetten wie 'Bild‘ und 'Spiegel‘. „Die neigen immer dazu, die italienischen Ereignisse zu übertreiben“, meint der Präsident des Hotelbesitzerverbandes der Provinz Savona. Doch bislang sei noch keine einzige Absage eingetroffen. Daß auch dieses Jahr wieder über 300.000 Touristen aus Deutschland an der Riviera ihre Bäuche bräunen und braten, scheint allerdings wenig wahrscheinlich. Die ersten Vorboten der Katastrophe waren bereits am Sonntag in den Badeorten Arenzona und Savona gestrandet. Nun wurden Ölklumpen aus dem zypriotischen Unglückstanker „Haven“ auch in Albenga und Alassio gesichtet, 60 Kilometer vom Unglücksort entfernt, wo — anders als im Streifen zwischen Genua und Savona — noch keine Plastikbarrieren zum Schutz vor dem anschwimmenden Öl errichtet worden waren. Nach Einschätzungen von Greenpeace sind aufgrund der vorherrschenden Winde und Strömungen auch die französische Côte d'Azur und das Fürstentum Monaco von einer Ölpest bedroht.

144.000 Tonnen iranisches Rohöl hatte die „Haven“ an Bord, als sie am Donnerstag im Golf von Genua explodierte. Am Sonntag ist der Tanker, aus dem vermutlich bereits etwa 50.000 Tonnen Öl (die Reederei spricht in jüngsten Erklärungen von 5.000 Tonnen) ausgelaufen und zum Teil auch verbrannt sind, nach einer dritten Explosion auf den Seeboden gesunken und offenbar so weich gelandet, daß die 56 Tanks im Innern des Schiffes intakt blieben. So hofft nun auch Italiens Umweltminister Giorgio Ruffolo, „daß das Wetter gut bleibt und der Rumpf des Schiffes standhält“, damit die geschätzten 90.000 Tonnen verbliebenen Öls noch rechtzeitig abgepumpt werden können. Admiral Antonio Alati, Leiter der Genueser Hafenbehörde, sprach von einer „seit Sonntag unveränderten Situation“. Die Gefahr sei nicht weiter angestiegen.

Doch auch im besten Fall ist die Katastrophe schon da: Bereits jetzt ist anderthalb mal mehr Öl ausgelaufen als 1989 vor Alaskas Küste, als ein besoffener Kapitän die „Exxon Valdez“ auf ein Riff steuerte. Damals konnten in den ersten 16 Tagen nach dem Unglück gerade zehn Prozent des ausgelaufenen Öls unschädlich gemacht werden. Die Erfolgsquote der Pestbekämpfer dürfte im relativ ruhigen Mittelmeer allerdings höher liegen als im stürmischen Ozean. Ob auch in Italien die in Alaska so erfolgreichen ölfressenden Bakterien zum Einsatz kommen, ist noch ungewiß. Zwei Mailänder Firmen, „Ecobios“ und „Ecologia“, haben zwar bereits acht Tonnen der Mikroorganismen angeboten, die zumindest einen halben Quadratkilometer des am Sonntag 25 Kilometer langen und drei bis fünf Kilometer breiten Ölteppichs auffressen könnten. Doch das Gesundheitsministerium hat sein Placet zum Einsatz der Bakterien, die die Firmen eigentlich nach Kuwait liefern wollten, offenbar noch nicht gegeben.

Neben Auswirkungen auf die Natur zeitigt die Katastrophe auch schon erste Folgen für die Menschen. Zwischen Arenzano und Pegli an der ligurischen Küste erlitten mehrere Kinder offensichtlich Vergiftungen durch Gase, die durch den Brand der „Haven“ freigesetzt wurden. Die örtlichen Feuerwehrleute berichten von Dutzenden Anrufen betroffener Eltern.

Auch die Tierwelt bleibt im übrigen nicht verschont. Aufgrund der reichen Vorkommen von Fitoplankton und Zooplankton, die zur Ernährung der Wale dienen, ist der Golf von Genua nach Angaben von Greenpeace eine „biologisch sehr produktive Zone“. Mit Sicherheit sei schon jetzt mit direkten Auswirkungen auf die Nahrungskette der Meeressäuger zu rechnen. Neben Finnwalen und Pottwalen gibt es an der ligurischen Küste um diese Jahreszeit auch viele Delphine.

142 Tote auf der Fähre „Moby Prince“

Beim Zusammenstoß zwischen der Fähre „Moby Prince“ und dem Tanker „Agip Abruzzo“, der sich wenige Stunden vor der Explosion auf der „Haven“ am Donnerstag etwa hundert Kilometer entfernt, vor Livorno, ereignete, sind nach neuesten, offiziellen Angaben 142 Menschen gestorben, 63 Besatzungsmitglieder und 79 Passagiere. Die Ursache des Unglücks, bei dem die Fähre durch auslaufendes Öl in Brand geriet, sind noch ungeklärt. Während die Hafenbehörde zunächst von dichtem Nebel sprach, bezeugten Fischer inzwischen, daß die Sicht in der Gegend sehr klar gewesen sei. Möglicherweise ist die Ursache auch auf ein defektes Radargerät zurückzuführen oder darauf, daß die gesamte Mannschaft, einschließlich des Kapitäns, am Fernsehen ein Fußballspiel verfolgte, wie aus den Äußerungen des einzigen Überlebenden geschlossen werden kann. thos