DASTHEATERDESOSTENSIMSCHWUZ

DEROST/WEST-BÜHNENTIP  ■  GANZ NORMAL SCHWUL

»Verzaubert« nannten die Schwulen der DDR sich selbst: So originell diese Bezeichnung ist, so sehr trifft sie auch ins Schwarze: Statt die Dinge beim Namen zu nennen, wartete man im Osten lieber auf die gute Fee. Statt proud to be gay, blieb man grau und stino.

Keine böswillige Unterstellung eines arroganten Westlers, sondern Bestandsaufnahme des östlichen Multitalents Jürgen Lemke. Über zehn Jahre lang besuchte der schwule Diplomökonom, Autor und Kneipier seine engeren und weiteren Freunde mit dem Tonbandgerät, bis er 1989 ihre Biographien unter dem Titel »Ganz normal anders« gleichzeitig im Aufbau- und Luchterhandverlag veröffentlichen konnte. Während an der Fernsehversion noch gedreht wird, brachte das Theater im Palast der Republik die Biographien schon 1990 erfolgreich auf die Bühne. Mittlerweile heimatlos durch Asbest, benannte sich die Spielstätte in »Theater des Ostens« um und feiert ihre West-Premiere heute abend mit dem Homo-Stück im SchwuZ.

Aus den 13 Männern in Lemkes Bestseller pickte Bühnenautor Uwe Hübner jedoch lediglich drei heraus und ergänzte sie um die Biographie des schwulenbewegten Eddi Stapel. Doch das genügt:

Zum einen tritt Norbert ins Rampenlicht, Jahrgang 1944 und schon leicht angegraut. Er will lieber »normal«, d.h. heterosexuell sein, weil er den Schönheitsidealen der Schwulen nicht genügen kann und will. Genauso schlimm dran ist der verheiratete LPG-Bauer Richard, der sieben Kinder hat und um befriedigenden Sex zu haben, in die nächste Stadt fahren muß. Die jüngere Generation der DDR- Schwulen vertritt wiederum Winnie, der sich getreu dem Vorbild in Heiner Carows »Coming Out« bereits zweimal am Selbstmord probierte. Eddis Biographie schließlich wurde notwendig, um den drei tristen Charakteren auch eine positive Figur entgegenzusetzen: Der sozialistische Held, wiederauferstanden als engagierter, schwulenbewegter Mitarbeiter einer Stadtmission.

Das Stück beginnt und endet auf der Klappe, unterbrochen von den Erinnerungen der Darsteller an Kindheit, Coming Out, Szene, Liebe und Aids. Der Sex in öffentlichen Toiletten bleibt jedoch auch wie in Praunheims konservativen West- Klassiker »Nicht der Schwule ist pervers...« schmutzig: »Wo sind bessere Homotreffs? I don't know« heißt es als Einleitung noch bevor der Vorhang steigt.

Der Vergleich zur BRD bietet sich generell an. Der Tuntenhaß, die Oberflächlichkeit der Szene, die Schwierigkeiten in der Provinz sind Parallelen in Ost wie West.

Einzig der Wunsch der Verzauberten nach »Normalität«, ihre Anstrengungen, als Verstecktlebende genauso wie als Bewegte bloß niemals unangenehm aufzufallen, sind im Osten stärker ausgeprägt und ziehen sich als rosa Faden durch das gesamte Stück. An Zauberei grenzt es daher wirklich, wie es dem Theater des Ostens unter Regie von Vera Oelschlägel gelang, das biedere schwule Massenbekenntnis zum heterosexuellen Vorbild dennoch spannend und amüsant zu inszenieren. Micha Schulze

PREMIEREUM20UHRIMSCHWUZ