: Der aufhaltsame Abstieg des Heinz-Gerhard S.
■ Vor dem Landgericht Bremen wurde der geradlinige Weg zum Banküberfall nachgezeichnet / Drei Jahre Knast
Es gibt Fallbeispiele, die sind so typisch für den direkten Weg ins Aus, daß man Angst bekommen kann. Heinz-Gerhard S. ist so ein Beispiel. Gestern mußte er sich vor dem Landgericht Bremen wegen räuberischer Erpressung verantworten, weil er im Februar völlig stümperhaft eine Bank überfallen hatte.
Bis Dezember 1990 unterscheidet sich sein Leben nicht wesentlich von dem tausender anderer BremerInnen. Der 31jährige Gas- und Wasserinstallateur arbeitet am Fließband eines Bremer Automobilherstellers, hat Frau und drei Kinder, verdient 3.200 Mark netto und: trinkt.
Sein Alkoholkonsum führt nicht zur Verhaltensauffälligkeit: Regelmäßig am Wochenende oder nach der Schicht, wenn die Stückzahl gefertigt ist und man auf die Stempeluhr warten muß: „Manchmal eine oder anderthalb Stunden vor Ende haben wir unsere Stückzahl durchgehabt, dann haben wir gewartet und getrunken.“ Später wird der Sachverständige, Axel Titgemeyer, Neurologe und Psychologe im Krankenhaus Bremen-Ost, vor Gericht feststellen, daß S. „Konflikt- und Entlastungstrinker“ ist, der seine Probleme im Alkohol ertränkt.
Vom „Konflikt- und Entlastungstrinker“...
Der Alkohol wird „zur ständigen Begleiterin des S. in der Ehe“ (Titgemeyer), die erst bröckelt, dann bricht. Im Dezember trennt sich das Ehepaar, Auseinandersetzungen, Schläge. S. muß die gemeinsame Wohnung verlassen und geht zunächst in die Entgiftungsstation für Suchtkranke nach Sebaldsbrück. Als er dort entlassen wird, schmeißt er seinen Job beim Automobilbauer und hebt sein letztes Geld ab. „Jeden Tag eine Flasche Weinbrand“ trinkt er jetzt, schläft bei Freunden, in Hotels oder auf Parkbänken: Das finanzielle Desaster nimmt seinen Lauf, denn das Ehepaar S. muß pro Monat 900 Mark für zwei Kredite zurückzahlen.
Sie lebt von Sozialhilfe, er von der Hand in den Mund. Das Arbeitsamt hat ihm zwölf Wochen Sperrfrist aufgedrückt, weil er seine Stelle selbst gekündigt hatte. Vom Sozi bekommt er Übernachtungsscheine, doch meistens schläft und lebt er in seinem BMW, obwohl er seit drei Jahren keinen Führerschein mehr hat. Als auch das Auto zu Geld verflüssigt ist, ist es Anfang Januar und kein Land in Sicht.
...zum Bankräuber
S. sucht Wohnung und Arbeit, findet nichts, trinkt, dann doch. Ab Ende Februar soll er als Schweißer bei einem Subunternehmer anfangen, bis dahin ist die Zeit noch lang. 1.500 Mark Unterhalt soll er für die Kinder zahlen, 650 Mark für seine Frau, dazu der Kredit - S. ist völlig pleite. „Irgendwie“ kauft er sich Ende Januar eine Schreckschußpistole, die sehr viel Ähnlichkeit mit einer echten Walther PPK hat. Konkret hat er nichts mit ihr vor, das Modell „Lucky“ bringt ihm aber kein Glück.
Es wird Mittwoch, 7. Februar 1991. S. fährt nach einer ausgiebigen Weinbrandnacht in die Innenstadt, um eine Wohnung zu suchen. Gegen 14.30 Uhr betritt er eine Bankfiliale in der Martinistraße, „fuchtelt mit dem Revolver herum“ (Zeugenaussage) und will „Geld in großen Scheinen“. „Ich hatte ja keine Tasche mit oder so etwas“, erzählt er vor Gericht. Ganz eindeutig bedroht er dabei mit der Spielzeugpistole einen Auszubildenden der Bank, der „erst zwei Tage vorher bei der innerbetrieblichen Ausbildung gelernt hatte, wie man sich bei einem Überfall verhält“ (Zeugenaussage).
Insgesamt 9.100 Mark kann S. erbeuten, dabei wird er von der Kamera der Bank gefilmt. Später wird der Anwalt die „stümperhafte Ausführung des Überfalls“ als strafmildernd anführen. Dann beginnt das flüchtige Leben: Mit dem Taxi fährt S. nach Delmenhorst und kauft sich ein Auto. Ohne Führerschein geht die Fahrt ins ostfriesische Emden: Klamotten werden gekauft und am Abend in die Bar. Als es Sonntag wird, will er zurück und rast auf der Autobahn in die Leitplanke: Fahrerflucht. Das Auto läßt er am Tatort mit seinen Papieren zurück.
Am Montag abend verabredet er sich mit seiner Frau, die inzwischen aus der Zeitung von seiner Tat erfahren hat. Der vorsitzende Richter Berndt-Adolf Crome erklärte gestern: „Auf diesem Fahndungsfoto haben drei Ehefrauen ihre Männer erkannt.“ Aber es ist S., ohne Zweifel. Die Frau überredet ihren Mann, sich der Polizei zu stellen, was der sofort tut. „Ich wußte schon, daß ich Mist gebaut hatte, als ich aus der Bank ging“, erklärte S. seinen Entschluß vor Gericht. Von den 9.100 Mark hatte er noch 32,95 Mark, die er „zugunsten der Deutschen Bank zurückgibt“, so Richter Crome.
Sechs Jahre forderte Staatsanwältin Ruth Düßmann für S., obwohl dieser nicht vorbestraft ist. Der Rechtsanwalt plädierte auf einen minderschweren Fall und schlug die Mindeststrafe von einem Jahr vor. Das Gericht befand auf drei Jahre für die „schwere räuberische Erpressung in einem minderschweren Fall“. Weder die Staatsanwältin noch der Verteidiger von S. mochten gestern eine Erklärung abgeben, ob sie dieses Urteil annehmen werden.
Markus Daschner
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