Fette Verdienste mit alter Umwelttechnik

Brandenburgischer Umweltminister kritisiert mangelnde Vorausschau westdeutscher Umweltschutz-Firmen/Spekulationen auf einen Milliarden-Markt mit Umweltreparaturen/Konservative Rezepte für die neuen Länder  ■ Von Bettina Markmeyer

Dortmund (taz) — „Wir brauchen die Technik von morgen.“ Der Brandenburger Umweltminister Platzeck forderte die in Dortmund versammelten FirmenvertreterInnen aus der nordrhein-westfälischen Umweltschutzbranche auf, bei Investitionen in seinem Land Phantasie und Pioniergeist zu zeigen. In nicht allzu ferner Zeit, so der parteilose Minister, der für das Bündnis 90 im Potsdamer Kabinett sitzt, solle Brandenburg im Umweltschutz die alten Bundesländer nicht nur ein- sondern überholen, „frei nach Walter Ulbricht“, wie Platzeck zwinkernd hinzusetzte.

Doch die möglichen InvestorInnen zeigten wenig Neigung, zum Überholmanöver anzusetzen. Auf Einladung der Dortmunder Industrie- und Handelskammer und des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung waren sie gekommen, um zu erfahren, wo und wie sich heute östlich der Elbe Geld verdienen läßt. Und zwar nicht mit zukünftigen, sondern mit den Technologien, mit denen sie schon „tief im Westen“ Profite machen: Stromerzeugung in Großkraftwerken, Müllverbrennung, Filterbau, Recycling und Bodensanierung.

Die Bilanz über den ökologischen Zustand der Ex-DDR, mit der der Leiter der Abteilung Umweltökonomie beim Ifo-Institut, Rolf-Ulrich Sprenger, die Tagung „Umweltschutz in den neuen Bundesländern — Marktchancen für Umwelttechnik“ eröffnete, fiel in bekannter Weise düster aus. Ein „Durchbruch bei der Angleichung der Umweltverhältnisse“ in Ost und West, die laut Einigungsvertrag bis zum Jahr 2.000 erreicht sein soll, sei vorerst nicht zu erwarten. Vielmehr, so Sprengers skeptische Prognose, drohe die Beseitigung alter Umweltlasten in der Ex-DDR durch die Folgen des erwarteten Wachstums — Stichworte: Verkehrs- und Müllawine — aufgehoben zu werden.

Im Auftrag des nordrhein-westfälischen Umweltministers Klaus Matthiesen hat das Ifo-Institut die Kosten der Umweltsanierung in den neuen Ländern ermittelt. Für die gesamte Ex-DDR rechnen die Wissenschaftler mit einem Investitionsbedarf von 211 Milliarden D-Mark bis zum Jahr 2.000. Rund die Hälfte dieser Summe fließe in die Abwässerbeseitigung. Damit liegt erstmals ein Überblick über die Kosten der Sanierung von Luft, Wasser und Boden in den neuen Ländern vor (siehe auch taz von gestern), doch besagen die Zahlen allein gar nichts. Sie beruhen auf bestimmten Annahmen — beispielsweise der einer erfolgreichen verwertungsorientierten Abfallpolitik der neuen Landesregierungen. Das Ausmaß vergangener Zerstörungen kann, ebenso wie das zukünftiger, nur geschätzt werden. Die folgenreichste Voraussetzung des Ifo- Zahlenwerks besteht jedoch darin, daß die Kosten der Umweltsanierung drüben auf der Grundlage der Erfahrungen hüben berechnet wurden. Die Frage, welche Technik in der Ex- DDR die Umwelt heilen soll und welche Produktionsverfahren zukünftige Müllberge gar nicht erst wachsen ließen, wird in der Ifo-Studie nicht diskutiert — und trotzdem eindeutig beantwortet.

Sämtliche Investitionsbedarfs- Rechnungen legen die Kosten westlicher, fast ausschließlich reparierender und reaktiver Umwelttechnologien zugrunde. Die Ifo-Zahlen sagen also, wieviel es kostet, in die Großkraftwerke der Ex-DDR Entschwefelungsanlagen einzubauen, berechnen aber nicht, mit welchem Aufwand das noch vorhandene Fernwärmenetz in eine dezentrale Stromversorgung über neue Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen einbezogen werden könnte. Die Zahlen geben Auskunft, wie teuer es werden wird, Müll nach westlichem Vorbild erst zu erzeugen und dann zu verbrennen. Was durch abfallarme Herstellungs- und Vertriebsverfahren eingespart werden könnte, prognostizieren sie dagegen nicht.

Dem Ifo-Umwelt-Ökonomieexperten Sprenger war das Defizit bewußt. Mit der Forderung nach einer ökologischen Modernisierung der Ost-Wirtschaft renne man im übrigen bei den Ifo-Leuten „offene Türen ein“. Doch ihr Auftrag hatte nicht gelautet, ein neues Kapitel für eine umweltverträglichere Wirtschaft aufzuschlagen, sondern neue Marktchancen für nordrhein-westfälische Umwelttechnik zu berechnen. „In besonderer Weise“, stellte denn auch der Aufftraggeber Klaus Matthiesen in Dortmund befriedigt fest, sei „der nordrhein-westfälische Umwelttechnikmarkt geeignet, auf das neue Nachfrageinteresse zu reagieren“ und nutzte die Gelegenheit, einmal mehr seine „vorausschauende Umweltpolitik in NRW“ zu loben.

So krankte denn die Dortmunder Tagung daran, zu einer Publicity- Veranstaltung für den NRW-Umweltminister und die von ihm gehätschelte Branche zu verkommen. Wer eine zukunftsweisende Debatte über ökologische Modernisierungsambitionen aus der Industrie erwartet hatte, wurde enttäuscht. Und zumindest gelangweilt zeigten sich auch einige IndustrievertreterInnen. Dürften manche Zahlen über den enormen Investitionsbedarf für sie auch neu gewesen sein, blieb doch die Frage, wie in Ostdeutschland das Geld für Umweltsanierungen aufgebracht werden soll, die alte.

So blieb es dem brandenburgischen Umweltminister Platzeck, das übliche West-Ost-Gefälle in Dortmund einmal umzukehren. Er zeigte zumindest politische Phantasie und eine klare Entscheidung für zukünftiges, umweltfreundlicheres Wirtschaften. Der Minister des Partnerlandes von NRW machte am Beispiel des zukünftigen brandenburgischen Abfallgesetzes deutlich, daß er seine Aufgabe nicht in erster Linie darin sieht, die politischen Rahmenbedingungen für reparierenden und reaktiven Umweltschutz zu schaffen. Im Gegensatz zu Matthiesen, der noch ein gutes Dutzend Müllverbrennungsanlagen im bevölkerungsreichsten Bundesland durchpowern will, setzen die Brandenburger auf Abfallvermeidung schon in der Produktion und auf Verwertung mit über 60 bis 80 Sortierstellen „mit Schienenanschluß“ im ganzen Land. Höchstens 150 Müllkippen (derzeit 2.000, davon 1.500 inzwischen geschlossen) sollen das Land um Berlin einst verunstalten und die „Müllverbrennung“ will der Ost-Minister nur, wo es unbedingt nötig ist.