„Ganzheitliche Angebote“

Rita Süssmuth diskutierte in Potsdam über Fragen der Weiterbildung im Osten/ Westliche Bildungsmodelle sollen „nicht übergestülpt“ werden  ■ Von Irina Grabowski

Potsdam. Nicht als Präsidentin des Bundestages, sondern des Deutschen Volkshochschulenverbandes war die nette Dame Süssmuth der Einladung nach Potsdam gefolgt, um die Abschlußrunde eines „Kolloquiums zu Fragen der Weiterbildung“ zu moderieren. Allein schon ihre einführenden Worte fanden die ungeteilte Zustimmung des Podiums, das neben Brandenburgs Bildungsministerin Marianne Birthler mit ausgewählten Staatsekretären aus ostdeutschen Arbeits- und Kultusministerien besetzt war. Drei Millionen Menschen in den neuen Ländern müssen sich über kurz oder lang „beruflich umorientieren“ und dazu brauchen sie „ganzheitliche Bildungsangebote“. Man war sich einig, beim marktwirtschaftlichen Fitneßtraining im Osten nicht allein auf die Sättigung durch das Fast Food beruflicher Fortbildung zu vertrauen, sondern letztere mit gesellschaftspolitischen Inhalten — Wie funktioniert eine demokratische Verwaltung? — anzureichern.

Wer aber macht und wer bezahlt das, und wofür überhaupt? Laut „Aufschwung Ost“ sollen 500.000 „Eintritte in die berufliche Fort- und Weiterbildung“ und 278.000 ABM- Stellen fürs erste die „Bildungslücke“ in den neuen Ländern verkleinern. Insgesamt 430 Millionen Mark aus der Beitragskasse der Arbeitsverwaltung und dem Bundeshaushalt werden dafür 1991 rübergereicht. Doch wer kümmert sich um die restlichen über zwei Millionen Bedürftigen? Die Betriebsakademien und Berufsschulen als potentielle Bildungsträger sind mit einigen Ausnahmen bereits erfolgreich abgewickelt worden. Die Volkshochschulen, einst in der DDR „flächendeckend“ und mit niveauvollen Angeboten aufgebaut, könnten einspringen — wenn sie nicht bereits ihren finanziellen Gebrechen erlegen sind.

Und die westlichen Bildungsträger? Die sollten nach Meinung von Olaf Sund, Staatssekretär an der Seite von Brandenburgs „Mutter Theresa“ alias Regine Hildebrandt, nicht die „Verwertung der Menschen als Konsumenten des kommerzialisierten Bildungsmarktes“ betreiben, sondern durch freiwillige Selbstkontrolle eine bestimmte Qualität der Angebote sichern. Manchen KursteilnehmerInnen im Osten deucht schon, daß die mit ihnen veranstalteten „berufsbezogenen Maßnahmen“ nur als ABM für westdeutsche Dozenten taugen. Heftiges Kopfnicken bei Frau Süssmuth, denn „westliche Bildungsmodelle überstülpen“ ginge ja wohl nicht an. Und dann — das große Verständnis für die ostdeutsche Gemeinde im Blick: „Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen geblieben sind.“ Der Anteil der Frauen an der Weiterbildung sollte dabei durch Quotierung gesichert werden. Und nicht zu schade ist sich die CDU-Politikerin, runde Tische zu fordern, wenn es um die „Verzahnung“ von regionaler Wirtschaftsstruktur und Weiterbildungsbedarf geht. Doch was nützt dieses Möbelstück, wenn — wie ein Ministerialer aus dem Mecklenburgischen einwirft — kein Landes-, geschweige denn Kommunalpolitiker Prognosen zur Arbeitsmarktstruktur geben könne, um damit das „Motivationsloch“ bei den Wezubis (den Weiterzubildenden) zu stopfen. „Fehlende Arbeit durch Qualifizierung zu kompensieren geht nur für den Anfang“, tritt Sund seinem Kollegen zur Seite. Auf Vorrat zu qualifizieren sei eine Illusion. Wie wäre es doch schön, spinnt Sund die Utopie, wenn Bildung genauso anerkannt und bezahlt würde wie Arbeit. Dennoch beugt er sich einsichtsvoll einem pragmatischen Lösungsansatz. In Brandenburg liegt der in einer „gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung von Arbeit und Struktur“.