DEFA-Dokumentarfilmfestival in Bremen

■ Etwas Kritsllines, vielleicht Seele / KoKo und CON-Film zeigen ab 19. April 14 Dokumentarfilme aus der Ex-DDR

„Sperrmüll“, sog. Kleine-Leute-Film von Helke Misselwitz

Aus dem Aufbruch wurde Zusammenbruch. Als Reisende, als ZeitungsleserInnen und als TagesschauguckerInnen ereifern wir uns mit Distanz über die Vorgänge in der „ehemaligen DDR“. Nah und verdichtet, ohne Entrinnen, zeigen am Wochenende 14 DEFA-Dokumentarfilme ein Stück dieser weitgehend unbekannten Realität.

Unter dem Titel „Zwischen den Zeiten — Filme von DEFA-Dokumentarfilm-RegisseurInnen von 1989 bis 1990“ stellten der Bremer CON-Filmverleih, das Kommunalkino Bremen und das Ost-Berliner Kino Babylon das Filmfestival zusammen. Die Filme, die teilweise auf der Berlinale und im November letzten Jahres auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival gezeigt wurden, sollen anschließend eine Reise durch 40 deutsche Städte, die Schweiz und Österreich antreten.

Zum Beispiel „Komm in den Garten“ von Heinz Brinkmann: Das ist die Geschichte dreier Freunde, alle Opfer des „Systems“. Alle sprechen dem Alkohol zu, aber das ist nur das Ende ihrer Geschichte. Davor — und davon berichten sie — liegen viele Jahre Unterdrückung, Knast, Psychiatrie. Dieter, der Maler, saß wegen „arbeitsscheu“ und „Verstoß gegen gesetzliche Maßnahmen“ viele Jahre im Knast: „Die wollten mich umerziehen“, weiß er, „aber ick war einfach ick“. „Etwas Kristallines, was ich Seele nennen würde, das geht kaputt. Aber wir lachen drüber und machen weiter“, ist das Fazit des Lebenskünstlers. Freund Alfred ist das Lachen vergangen, er ist fertig. Vom stellvertretenden Chefredakteur mit zu vielen eigenen Ideen wurde er in die geschlossenen Psychiatrie „versetzt“. Micha, der jüngste der drei, bastelt Lampenschirme. Als er sein Studium der Wirtschaftswissenschaften schon fast beendet hatte, flog er von der Akademie. Aber die Geschichten erzählen die drei wie am Rande. Lebensphilosophie, Suche nach Geborgenheit, Träume sind ihr Hauptthema. Wir erleben sie in unterschiedlichen seelischen Verfassungen.

Wie zufällig von der Kamera erwischt, erzählen auch die verfallenen Hauswände der Innenhöfe mit ihren liebevoll gestrichenen Fensterrahmen und Blumenkästen Geschichten. Und innen die Enge, die abblätternden Tapeten, die Details der irgendwie „guten Stuben“, ein Vaclav-Havel-Bild neben der gelben Camel-Tischdecke. Dieter und Micha und mehrere RegisseurInnen kommen zum Film- Festival nach Bremen.

Alle Filme haben die Zeit des Umbruchs, des nicht mehr Seins und noch nicht Seins zum Thema — und wie es sich im Weltbild und in der inneren Verfassung der Menschen spiegelt: Ratlosigkeit und Verunsicherung konkret. Euphorie ist nirgends. Auch die Zukunft des Genres DEFA-Dokumentarfilm ist unsicher. Beate Ramm

Bremerhaven, ab 18. 4. Kommunales Kino Roter Sand;Bremen,19. bis 21. April, Schauburg und Modernes, Oldenburg, Casablanca,Achim Kulturhaus Alter Schützenhof.

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