: Prophet im Niemandsland
■ »Wir wollen Westler sein« — Eine Ausstellung des Museums »Der Verbotenen Kunst«
Am 1. Juli 1990 wurde die D-Mark offizielles Zahlungsmittel auf dem Territorium der DDR (taz berichtete ausführlich). Weniger bekannt allerdings dürften Studien und Feldversuche sein, die die Währungsunion vorzubereiten halfen. Durch sie sollten psychologische Besonderheiten der DDR-Bürger aufgedeckt und gruppendynamische Prozesse auf die sie möglicherweise bergenden Sicherheitsrisiken hin analysiert werden. Das Hauptaugenmerk der beteiligten Forscher galt den schon seit Jahren existierenden Devisenenklaven, den »Intershops«. Hier kam es darauf an, Unterschiede in Warenauswahl und Kaufverhalten bei Ost- und Westdeutschen zu erfassen, um möglichst abgesicherte Prognosen zum Rückfluß des in den Osten zu bringenden Geldes in den Westen liefern zu können. Der wesentliche Teil des auch bei den Forschern nicht unumstrittenen Tests bestand in den »fiktiven Großeinkäufen«. Dessen standardisierter Ablauf: ein Wissenschaftler kaufte hochwertige Konsumgüter (z.B. Fernseher, Stereoanlagen, Computer), ein anderer beobachtete die Reaktionen der im Laden anwesenden »normalen« Kunden mit der versteckten Kamera. Die hierdurch gewonnenen Daten wurden durch ein spezielles Programm ergänzt, das die Simulation von Extremsituationen beinhaltete. Wie erst jetzt bekannt wurde, fand auch die Aktion »Wir wollen Westler sein« im Rahmen dieses Forschungsprojektes statt. Ort des Geschehens vor ungefähr einem Jahr: die Rosenthaler Straße in Ost-Berlin (siehe taz vom 17.4. 1990). Die groß angekündigte Verteilung von 5.000 DM vom Dach eines Hauses lockte damals mehrere hundert DDR-BürgerInnen auf die Straße. Videofilmer und Fotografen dokumentierten den Verlauf der Aktion. Durch als Radioreporter getarnte Wissenschaftler konnte in Einzelinterviews vertiefendes Material über Motivation und Erwartungshaltung der Anwesenden gewonnen werden. Reiche Ausbeute also für die »Forschungsgruppe WU«. Nach langem Bemühen gelang es dem »Museum der Verbotenen Kunst«, einen Teil der Dokumentation auszustellen. Es zeigt jetzt 20 Fotos der mit dem Kürzel Unternehmen Goldenes Kalb belegten Sozialstudie.
Soweit der Fakt, es folgen die Fakten: Richtig ist, daß es nur 19 Fotos sind. Und eine Texttafel, die den Radio-100-Report zum Ereignis wiedergibt. Der/die BesucherIn findet sie in der ersten Etage dieses wahrscheinlich ungewöhnlichsten Museums der Stadt. Der letzte noch stehende Grenzturm mit der militärischen Bezeichnung »Führungsstelle Schlesischer Busch«, im Niemandsland zwischen Treptow und Kreuzberg gelegen, wurde im Mai vergangenen Jahres von den Grenztruppen der DDR an den jetzigen Betreiber übergeben. Das ist eine Gruppe ehemaliger DDR-Schriftsteller und -Künstler, »die auf Grund ihres öffentlichen Eintretens für eine humanistische und demokratische Gesellschaft vom Staat DDR mit Berufsverbot belegt, eingesperrt und ausgebürgert wurden...« (Konzeptionspapier). 77 Namen standen auf der Liste, die Jürgen Fuchs und Wolf Biermann schon im Dezember 89 dem damaligen Kultusminister des sterbenden Staates übergaben: die Spitze eines Eisbergs.
Ihre Werke vorzustellen, ihre Biografien offenzulegen, fühlt sich das Museum der Verbotenen Kunst vorrangig verpflichtet. Aber das sei nicht alleiniger Zweck der Unternehmung, so Kalle Winkler. Mindestens ebenso wichtig: neue Ideen und Kunststile vorzustellen. Kalle gehört mit drei weiteren »Ostlern« zum »internen Kreis« der Betreiber. Dieser hält den täglichen Cafébetrieb aufrecht, bereitet die Ausstellungen und Veranstaltungen vor, kümmert sich um den Ausbau des Turms und um den Bürokram. Jeder werde hier an allen Entscheidungen beteiligt und habe Vetorecht, so Kalle stolz. Basisdemokratie eben, »daß ist doch der einzige Weg, um dem ringsum herrschenden politischen Unsinn etwas entgegenzusetzen«. An der Aktion zu Ostern 90 sei er natürlich auch beteiligt gewesen. Sinn des Unternehmens aus seiner Sicht: den Leuten mal den Spiegel vor die Nase zu halten. Daß es der Narrenspiegel war, hätten die meisten wohl nicht verstanden. »Sieh dir mal die Gesichter der Leute an, die sagen doch alles. Damals haben sie im Chor geschrien: ‘Wir wollen Westler sein‚. Für sie waren wir die Sendboten des goldenen Zeitalters. Und was haben sie nun von ihrem neuen Geld?« Jetzt stünden sie in Schlangen vor den Arbeitsämtern, die damals schon warnenden Bürgerbewegungen seien weg vom Runden Tisch. Dafür haben wir eine unfähige Regierung, die sich scharf verkalkuliert habe, aber nicht abtreten wolle.
Dem Türmer Kalle bereitet seine Rolle als Prophet, Mahner und Rufer offensichtliches Vergnügen, wenn er es auch nicht zugeben mag. Das mit großer Energie durchgezogene Museumsprojekt gibt ihm wohl mehr recht als die Verbalattacken. Einiges, was schon für den Sommer 90 geplant war, könne erst jetzt durchgezogen werden. Das mit den Bands zum Beispiel, die auf dem Gelände vor dem Turm spielen sollen. »Wir mußten uns erst mal in die bürokratische Mühle stürzen. Uns um einen rechtlich wasserfesten Mietvertrag kümmern, die Eintragung ins Vereinsregister vorantreiben.« Über die Ostberliner Kulturinitiative »Förderband« bekamen sie zwei ABM-Stellen.
Was denn nun in nächster Zeit geplant sei, darüber will Kalle noch nicht allzuviel verraten. Sonst sei die Luft raus, bevor das Schwein fliegt. Eine Gartenzwergausstellung der anderen Art soll den Park verschönern helfen, der den Turm umgebe. Bei schönem Wetter können sich die Gäste dann neben ihren Lieblingswichtel setzen, täglich von 17 bis 23, am Wochenende schon ab 14 Uhr. Wer den Rundblick übers Niemandsland genießen will, der früher nur den Grenzern vorbehalten war, kann das selbstverständlich auch tun. In der ersten Etage sind dafür die mit schweren Eisenplatten verschlossenen Schießscharten zu öffnen. Im Obergeschoß sind es die vergitterten Fenster und die alte Telefonanlage, die dem Gast den Kitzel des versunkenen Grenzregimes bescheren. Er kann sich »Stasiakten« mit nach oben nehmen oder sich einen »Fünfjahresplan« genehmigen (siehe Getränkekarte). Oder nach dem fünften »Ausreiseantrag« zu der Erkenntnis gelangen: Wer glaubt, daß das gute Geld vom Himmel fällt, wird mit einer Rezession nicht unter zehn Jahren bestraft. Baumgartner
Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Mai zu besichtigen.
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